Reise in die Hölle hinterm Moor

■ ...ein Besuch, der sich lohnt... Wo? Beim schwerkatholischen SV Meppen, dem die „Kohlenschöpper“ aus Duisburg mit dem 0:1 zwei Punkte klauen

Von Christoph Biermann

Und ich war da! Am Ort des Entsetzens. Der Abstieg in die zweite Liga führt geradewegs dorthin. Die Spiele dort sind ein Passionsweg für jeden Berufskicker. Dieser Ort liegt hinter dem Abgrund aller Fußballträume.

Aber stimmt dieses Geraune und Geklage? Wollen wir doch einfach mal sehn: Schließlich war ich da, und wer sonst kann sagen: „Ich war in Meppen.“

Zunächst glaubt man ja gar nicht, wie weit es bis dahin ist. Das Emsland liegt jenseits aller Wege, schmiegt sich mit seinen Mooren an die holländische Grenze, schaut aufs zwei Stunden weite Bremen und giftet ein wenig ins eineinhalb Autostunden nahe Osnabrück.

Die Anreise aus dem nur gut 200 Kilometer entfernten Duisburg verschlingt drei lange Stunden Fahrt durchs flache Land. So gestattet der weite Weg dem Fußballtouristen leider nicht, sich länger in Meppen aufzuhalten. Obwohl das städtische Eigenlob, “...ein Besuch, der sich lohnt...“, nicht übertrieben scheint.

Bereits ein flüchtiger Blick in die Fußgängerzone der 30.000-Seelen-Gemeinde zeigt, daß fleißige Menschen sich hier ein Stück Erde freundlich eingerichtet haben. Die Backsteinhäuser lassen die Nähe des holländischen Nachbarn spüren, alles ist sauber und schön.

Überdies stört kein Benettonladen und kein Schlecker -Drogeriemarkt den Blick des Passanten. Die Ursache dieser schönen Ordnung mag in der mehr als 600jährigen, zivilisatorischen Tradition der Stadt oder im erdrückenden Übergewicht der katholischen Bevölkerungsgruppe liegen, die erstaunliche achtzig Prozent ausmacht.

Schön ist auch der Fußballplatz, der hier noch Hindenburg -Stadion heißt. Er ist die Heimstadt des SV Meppen 1912, der seit seinem Aufstieg in die zweite Liga vor drei Jahren mit viel unsportlicher Kritik überkübelt worden ist.

Das kleine Rund des Hindenburg-Stadions bietet 15.000 Zuschauern Platz und muß vor nicht allzu langer Zeit aufgemöbelt worden sein. Der CDU-Stadtrat hat dabei gezeigt, daß im Emsland der architektonische Stil sozialdemokratischer Begegnungsstätten der späten siebziger Jahre noch nicht vergessen ist. Klinker und Kunststoff waren hie wie da die Zauberlosung.

Auf der niedrig geduckten Haupttribüne lauschen wir bis zum Anpfiff dem Emsländer noch etwas beim Gespräch. Die Gestade der Nordsee und ihre Wellen sind zwar noch ein gutes Stück entfernt, dennoch rollt das Rrr bereits durch die Münder wie an der Küste.

Bedächtig und ruhig wechselt ein Wort das andere. Von der Hetze der Großstadt ist nicht viel zu merken. Ein ruhiger Menschenschlag, offen und freundlich gegenüber dem Angereisten, der aber nur langsam auf Touren kommt. Wenn das allerdings passiert, dann entsteht eine Art Hindenburg -Roar, der das Grauen vor Meppen nur noch mehrt.

Die blau-weiße Fangruppierung einige Meter weiter scheint allerdings von der urbanen Aufregung wie dem Hooliganismus noch unbeeindruckt. Hier wird noch angefeuert und Fahne gezeigt. Vielleicht macht es der Name des Stadions.

Neben der offiziellen Stadionzeitung gibt es eine fotokopierte Fanzeitung, verkauft von einem rotbackigen Jungen für eine D-Mark. Das 'Sprachrohr Nord‘ kommentiert den Saisonstart des eigenen Teams: „Der Beginn der neuen Saison hat für den SV Meppen leider nur durchwachsen angefangen.“ Man hofft auf Besserung.

Schließlich ist heute der MSV Duisburg zu Gast. Die Mannschaft und die angereisten Fans, die bei Auswärtsspielen in aller Regel als „Ruhrpottschweine“ begrüßt werden, hören sich hier mit einer neuen, einzigartigen Beleidigung konfrontiert: „Kohlenschöpper“ rufen die jugendlichen Fans. Welche Erniedrigung muß beim Klang dieses Wortes vor ihren Augen entstehen: Ein Mensch bewegt Kohlen mit einer Schaufel!

Bevor zu viel Tiefenpsychologie ins Spiel kommen kann, meldet der Stadionsprecher „einen Unfall auf der B70 aus Richtung Lingen“. Dann wirbt er um Verständnis für einen verzögerten Anstoß; so beginnt das Spiel mit vier Minuten Verspätung.

Der SV Meppen kommt weitgehend ohne Spieler aus, die jenseits der Moore bekannt sind. Klopke, Böttche und Heuermann (nicht zu vergessen den Spieler mit dem hübschen Namen van der Pütten; d.S.) brauchen keine Geheimtelefonnummern.

Nur einer hat einige Spiele in der ersten Liga absolviert: Manfred Kubik, der ehemalige Torwart von Bayer Uerdingen. Er macht nach fünf Minuten einen kapitalen Fehler, und es steht 0:1. Die verbleibenden 85 Minuten sorgen für das solide Vergnügen, das nur ein Zweitligaspiel bereiten kann: Eifriges Gerenne und Gekämpfe und ein leichter Zug zur Hektik.

Obwohl der MSV Duisburg doch deutlich über dem Schnitt liegt. Deshalb gewinnt er auch völlig zu Recht. Meppen verliert zum ersten Mal seit zehn Monaten wieder ein Spiel im Hindenburg-Stadion, und Duisburgs Trainer Willibert Kremer faßt den ganzen Ausflug sehr anschaulich zusammen: „Wir haben in der Hölle von Meppen bestanden.“

Und das war doch die Reise wert.