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Heute über die Zone ... die taz fliegt drüber

HEUTE ÜBER DIE ZONE ...

Entgegen allen Prognosen findet die befürchtete Masseninvasion von westdeutschen Touristen in die DDR in diesem Sommer offenbar nicht statt. Der „Studienkreis für Tourismus“ prognostizierte im Frühjahr dieses Jahres, 5,5 Millionen Bundesbürger würden 1990 ihren Urlaub in der ehemaligen Zone verbringen. Aber die DDR-Hotelerie und -gastronomie klagt über leere Betten und freie Stühle. Der Auslastungsgrad der Ferienhotels an der Ostseeküste betrage schlappe 65 Prozent, die Campingplätze seien gar nur zu 50 Prozent belegt, auf einigen Plätzen würden bis zu 80 Prozent der erwarteten Urlauber wegbleiben. Im Süden der DDR verhielte es sich nicht anders. Einzig die Luxusherbergen in Ost-Berlin, Leipzig und Dresden seien ausgebucht. Die gestiegenen Preise schrecken vor allem die Besucher aus den ehemaligen Bruderstaaten ab. Aber auch den Westtouristen ist das Verhältnis Qualität zu Preis zu unausgeglichen.

Die taz-Augenscheinnahme am letzten Ferienwochenende der Campingplätze im Potsdamer Seengebiet ergab allerdings ein anderes Bild. Zumindest in der Berliner Umgebung sind die Campingplätze voll. Ob am Liegewitz-, Schwielow- oder am Templiner See: die Zelte stehen dicht an dicht, und vor den Imbißbuden drängeln sich die Menschen wie vor der Währungsreform. Zwischen den ausgeblichenen DDR-Zeltplanen stehen als bunte Tupfer Steilwandkreationen und Wohnmobile aus kapitalistischen Staaten, deren Besitzer die preiswerten Campingplätze der Mark Brandenburg als Standquartier für Berlinbesuche nutzen.

Eine Zwei-Klassen-Urlaubsgesellschaft zeichnet sich ab: DDRler ohne ausreichend Knete bevölkern wie eh und je die angestammten Ferienregionen der DDR, während die Betuchteren nach Mallorca und Italien düsen und dort dafür sorgen, daß das Bild des „häßlichen deutschen Urlaubers„ eine Renaissance erlebt: kurzbehost, bierbäuchig, sonnenverbrannt, laut und knickrig. Die Hoffnungen der südeuropäischen Hoteliers und Gastronomen erfüllen sich nicht, die sich von den Ostdeutschen die Wende in der touristischen Flaute versprachen. Die Anreise ist lang, die Benzinpreise sind hoch, so muß der Ostdeutsche am Urlaubsort sparen, packt die Stullen aus und verzichtet auf panino und bocadillo, vom mehrgängigen Menü mit Wein und Espresso ganz zu schweigen. Eine Hoteliersfrau im oberitalienischen Bolzano: „Da sind mir die Westdeutschen noch lieber. Die haben im Laufe der Jahre gelernt und wissen sich wenigstens etwas zu benehmen und drehen die Lire nicht zehnmal um.“

R.K.

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