Lang lebe Saddam Hussein!

■ Was die USA, die UdSSR, Syrien, die Türkei, die deutschen Journalisten

und die israelische Rechte Saddam Hussein alles zu verdanken haben

Von Henryk M. Broder

Ein dreifach Hoch auf Saddam Hussein! Je länger ich mir das Treiben dieses Burschen ansehe, um so besser gefällt er mir. Nicht nur, daß er die Medien über das diesjährige Sommerloch gerettet und sogar das Ungeheuer von Loch Ness arbeitslos gemacht hat, er hat in nur drei Wochen alle politischen Koordinaten durcheinandergebracht und die völlige Wertlosigkeit aller politischen Theorien bewiesen. Wenn das kein bleibender Verdienst ist! Dabei hat er Tugenden demonstriert, die man in dieser Häufung bei keinem anderen Politiker findet. Der „Dieb von Bagdad“, der „Hitler aus dem Zweistromland“, wie er von seinen Gegnern leichtfertig beschimpft wird, ist ein ehrlicher, aufrichtiger Mann. Er hat seine Absicht, Kuwait zu übernehmen, klar und unmißverständlich angekündigt. Daß er nicht ernstgenommen wurde, kann man ihm nicht anlasten. Er hat dann mit einem Federstrich den Krieg mit dem Erzfeind Iran beendet, seine Armee auf die Positionen von 1980 zurückgepfiffen und alle Forderungen aus Teheran akzeptiert, derentwegen er den Krieg vom Zaun gebrochen hatte. Wer hätte ihm soviel Pragmatismus zugetraut? Eine Million Tote, noch mehr Verkrüppelte, Milliarden Sachschaden - alles a fond perdu.

Amis und Sowjets

zum ersten Mal

Schulter an Schulter

Aber Saddam Hussein ist nicht nur großzügig, er ist auch großherzig. Er hat es den Persern vergeben, daß er sie überfallen mußte, no hard feelings, würden die Amerikaner dazu sagen. Wie lange hat dagegen die deutsch-französische Aussöhnung gedauert, wie mühselig gestaltet sich der historische Ausgleich zwischen Deutschen und Polen. Auch hier kann Saddam Hussein als Vorbild gelten. Aber das ist noch nicht alles. Er hat Koalitionen, Partnerschaften entstehen lassen, die vor vier Wochen noch undenkbar gewesen wären. Nicht nur, daß die Amis und die Sowjets zum ersten Mal seit dem Ende des Kalten Krieges in einer Krise Schulter an Schulter auftreten und ihre gemeinsame Verantwortung betonen, auch Präsident Bush und Präsident Assad von Syrien sprechen wieder miteinander und versichern sich gegenseitig ihre Wertschätzung. Plötzlich ist der Chef-Syrer, bislang ein wilder Tyrann und unberechenbarer Terroristenfreund, ein moderater Politiker und gefragter Verbündeter. Die Türkei hat endlich die Gelegenheit bekommen, sich als ein nützliches Mitglied der Nato zu beweisen, und wird für ihre Kooperation sicher von der EG jene Vergünstigungen erhalten, die ihr bislang verweigert wurden. Die Nato-Generäle, durch das Ende der Ost-West-Konfrontation von einer Sinnkrise und vorzeitiger Pensionierung bedroht, können aufatmen. Sie haben wieder eine Zukunft vor sich.

Und die sogenannte freie Welt hat wieder ein ordentliches Feindbild, das sie für den Fortfall der kommunistischen Gefahr entschädigt, die Erdölgesellschaften haben einen plausiblen Anlaß, ihre Preise zu erhöhen, auch für das Öl, das sie noch vor Ausbruch der Krise eingekauft haben. Eigentlich haben alle viele gute Gründe, zufrieden und Saddam Hussein dankbar zu sein - vorausgesetzt, es kommt zu keinem Krieg am Golf. Diese Möglichkeit kann nicht ganz ausgeschlossen werden. Es kann jeden Moment knallen, es muß aber nicht.

Scharen sprachloser Schwätzer spielen Hemingway an der Front

Gleich nach dem Einmarsch der irakischen Truppen in Kuwait, vor gut vier Wochen also, haben alle Sandkastenstrategen Szenarien für einen größeren militärischen Konflikt entworfen, dieselben „Experten“ übrigens, welche die unverhüllten Warnungen Saddam Husseins beharrlich überhört hatten. Ich habe die ersten „Sondersendungen“ über die „Krise am Golf“ im deutschen Fernsehen erlebt und war über die aufgekratzte Stimmung der Reporter, Moderatoren und Lageanalytiker einigermaßen überrascht. Sie kamen mir wie Fußballfans vor, die vor einem Entscheidungsspiel die Chancen der Mannschaften diskutierten und sich immer mehr in eine Art von Trockensuff hineinsteigerten. Seitdem jagt eine Sondersendung die andere, Scharen sprachloser Schwätzer spielen Hemingway an der Front, ohne ihre vollklimatisierten Studios verlassen zu müssen.

Ginge es in der Welt gerecht zu,

hätte Saddam Hussein

Schleswig-Holstein überfallen

„In terms of fun nothing comes next to war“, hat mal G.B. Shaw gesagt, und wie recht er hatte, dafür werden die Beweise in diesen Tagen stündlich geliefert. So ein Krieg dahinten in der Wüste wäre doch echt geil, weit genug weg, um keine wirkliche Bedrohung darzustellen, nah genug, um wie eine Live-Show erlebt zu werden. Die orgastische Entspannung würde erst eintreten, wenn das erste irakische Flugzeug über Tel Aviv abgeschossen oder der erste amerikanische Panzer vor Bagdad auffahren würde. Was steht für Europa schon auf dem Spiel? Eine Verteuerung der Benzin- und Heizölpreise, dafür können andere ruhig ein wenig bluten, das ist der Spaß allemal wert. Die Aufgeregtheit in den Medien und der Aktionismus der Politiker trüben den Blick in die Kulissen des Geschehens. Dieselben Regierungen, die jetzt scheinheilig und verlogen „Wie konnte er nur?“ rufen, haben wider besseres Wissen den Irak aufgerüstet und Saddam Hussein in die Lage gebracht, genau das zu tun, was er jetzt tut. 1981, nachdem Israel den irakischen Atomreaktor außer Betrieb gesetzt hatte, wurde dieser „aggressive Akt“ von allen europäischen Regierungen verurteilt. Dabei war es die letzte richtige und vernünftige Initiative der israelischen Regierung im Umgang mit den arabischen Nachbarn. Alles, was danach kam, der Krieg im Libanon, das geplatzte Geheimabkommen mit König Hussein, die Behandlung der Palästinenser in den besetzten Gebieten, war dumm, verkorkst und kriminell. Die Reaktorruine qualmte noch, da erklärte sich Frankreich schon bereit, die Anlage wieder aufzubauen. Seit 1984, sagt der SPD-Bundestagsabgeordnete Norbert Gansel, habe die Bundesregierung in Bonn gewußt, das deutsche Firmen dem Irak bei der Produktion von Giftwaffen mit Material und Know-how zur Hand gehen. Die Bundesregierung habe es gewußt und nichts dagegen unternommen.

Was ich in diesem Zusammenhang wissen möchte: Wie oft hat Bundeskanzler Kohl, der peinlichste aller Deutschen, von 1984 bis heute die deutsche Verpflichtung zur konsequenten Friedenspolitik beschworen, wie oft hat er, aus Anlaß der Kristallnacht, bei der Woche der Brüderlichkeit oder einem KZ-Besuch, von der „besonderen deutschen Verantwortung gegenüber dem jüdischen Volk“ gesprochen? Und war es nicht so, daß hinter dem Rücken der deutschen Friedensfreude, während die ihre „Menschenketten“ von Flensburg bis Berchtesgaden formten, die Transporte mit der tödlichen Fracht für den Irak rollten, unbemerkt von jenen, welche die Präsenz von US-Truppen auf deutschem Boden als eine Gefahr für den Frieden empfinden? Spätestens seit 1988, als Saddam Hussein Tausende von Kurden im Irak vergaste, konnte niemand mehr meinen, er würde seine Rüstungsprojekte nur zum Zwecke der Abschreckung betreiben. Allerdings war mit dem Massaker an diesen Eingeborenen keine Gefahr einer Preiserhöhung für Erdöl verbunden, es gab also keinen Grund, aufzuhorchen und Alarm zu schreien. Ginge es in der Welt gerecht zu, hätte Saddam Hussein Schleswig-Holstein oder das Departement Cote -d'Or überfallen und nicht das unschuldige Kuwait.

Auf das europäische postkoloniale Bewußtsein wird die Golf -Krise langfristig ohne Wirkung bleiben. Die mühsam hergestellte Solidarität wird abbröckeln, man wird die Schmutzarbeit an der Front den Amis überlassen. Im Nahen Osten freilich werden, egal wie die Krise ausgeht, ob sie zu einem Krieg eskaliert oder nicht, die Karten jetzt neu gemischt werden. Das heißt vor allem: Eine friedliche Verständigung zwischen Israelis und Palästinensern ist noch unwahrscheinlicher als zuvor. Unsere palästinensischen Vettern haben mal wieder ihr Talent bewiesen, zum richtigen Zeitpunkt genau das Falsche zu unternehmen. Die Begeisterung der Palästinenser für Saddam Hussein, ihr offen ausgesprochener Wunsch, er möge Israel angreifen, auch wenn sie selbst dabei mit draufgehen, hat der israelischen Rechten ein paar Argumente zugespielt, die man leider nicht als Propaganda oder Verweisungsstrategie abtun kann.

Er hoffe, sagte Verteidigungsminister Moshe Arens, die USA würden nun endlich begreifen, daß Israel es nicht mit Norwegen oder Kanada als Nachbarn zu tun habe, sondern mit Staaten, in denen Fanatismus und Brutalität eine lange Tradition hätten. Während die israelische Rechte sich in ihrer „Wir-haben-es-schon-immer-gewußt„-Haltung bestätigt fühlte, war die Linke angesichts der Pro-Saddam-Hussein -Kundgebungen in den besetzten Gebieten wie benommen. „Der palästinensische Mob hat der israelischen Linken den Teppich unter den Füßen weggezogen“, meinte die Zeitung 'Hadaschot‘. Der Abgeordnete Jossi Sarid, eben noch ein Fürsprecher palästinensischer Unabhängigkeit, rief den Palästinensern in einem Artikel in 'Ha'aretz‘ zu: „Ihr könnt mich mal!“ Der Generalsekretär der linkssozialistischen Mapam, Elazar Granot, zeigte sich „enttäuscht und wütend über das Verhalten der Palästinenser“, der Schriftsteller A.B. Yehoschua nannte die Position der Palästinenser „dumm, unmoralisch und ihren eigenen Interessen schädlich“. Tenor aller linken Erklärungen war: Die Aussichten auf Friedensverhandlungen haben einen Todesstoß bekommen, das palästinensische Thema ist erst mal von der Tagesordnung. Es wird sehr viel Wasser den Jordan runterfließen, bis sich Palästinenser und Israelis wieder an einem Tisch treffen werden.

Die Aussichten auf Friedensverhandlungen zwischen Isrealis und Palästinensern sind jetzt wieder gleich Null

So hat Saddam Hussein die israelische Nation in einem Maße wieder vereint und mit sich selbst versöhnt, wie dies seit dem Sechs-Tage-Krieg nicht mehr der Fall war. Er hat auch dafür gesorgt, daß der israelisch-palästinensische Dialog, der trotz Besatzung und Intifada geführt wurde, ein Ende fand. Das wiederum kommt der chauvinistischen Rechten im Land zugute. Der Abgeordnete Rehavam Ze'evi von der Moledet(„Heimatland“)-Partei hat schon vorgeschlagen, Israel sollte im Falle eines irakischen Angriffs die Chance nutzen und die Palästinenser aus den besetzten Gebieten vertreiben.

Eigentlich wollte Saddam Hussein nur seine Schulden in Kuwait, rund zwanzig Milliarden Dollar, durch Übernahme der Bank loswerden. Erreicht hat er weit mehr. Das Palästinenser -Problem steht nicht mehr im Mittelpunkt des Nahostkonflikts, fortan wird auch niemand mehr die Behauptung wagen, die Pazifizierung der Region hänge von der Lösung der Palästina-Frage ab. Auch für diese Klarstellung müßte man dem großen Iraki, der seine Nachrichtensprecher immer von „Gott und Saddam Hussein“ sprechen läßt, dankbar sein. Und vielleicht werden wir alle, dank seinem Einsatz, bald das totale Happy-End aller Probleme erleben. Der Lubavicher Rebbe, Menachem Schneerson, erklärte von seinem New Yorker Wohnsitz aus, es gebe überhaupt keinen Grund zur Sorge. Die Krise am Golf würde die fällige Ankunft des Messias nur beschleunigen.