Für Kuwait sterben?

■ Für Frankreichs Medien ist der Beginn des Golfkriegs nur noch eine Frage von Tagen Ein neuer „drole de guerre“ wie 1939 / Premierminister warnt vor Kollaboration mit dem Feind

Aus Paris A. Smoltczyk

In Frankreich hat der Krieg schon begonnen. „Wir befinden uns in einer Logik des Krieges“ - mit diesen Worten hatte Präsident Mitterrand am Dienstag jeden französischen Sonderweg in der Golf-Diplomatie für beendet erklärt und sich der harten Linie von George Bush angeschlossen.

Seitdem wird mobilisiert - vor allem in den Medien. 'Liberation‘ führt seit Tagen schon eine Rubrik „Nachrichten von der Front“, in der wie in alten Zeiten sorgsam die letzten Truppenbewegungen vermeldet werden. Jede Zeitung hat umfangreiche Karten (zum Mitverfolgen?) veröffentlicht, auf denen die diversen Waffengattungen der feindlichen Lager mit exakter Typenbeschreibung aufgeführt sind. In den Nachrichtensendungen werden aus den PR-Filmen der Rüstungsfirmen Angriffsszenarien optisch durchgespielt. Am eindrucksvollsten die „Variante 4“ - ein allgemeiner, mit A und C-Waffen geführter Krieg unter Beteiligung Israels. „Niemand kennt wirklich den Preis, aber er wird gewiß schrecklich sein. Der Krieg ist immer die schlechteste Lösung. Aber manchmal gibt es keine andere“, schreibt 'Liberation'-Chef Serge July.

So ist die Stimmung hierzulande. Die deutsch-deutschen Querelen interessieren keinen großen Geist mehr. Im Gegensatz zu den angeblich so mächtigen Deutschen ist es jetzt Frankreichs Armada, die mittenmang im Kielwasser der Großen dieser unserer abendländischen Welt segelt. C'est la guerre!

Mit seiner diensttäglichen Rede hat Francois Mitterrand auch seine Minister auf Linie gebracht. Vor allem Verteidigungsminister Chevenement, Mitbegründer des „Klubs für französisch-irakische Freundschaften“ und klammheimlicher Bewunderer des laizistischen Nationalismus Saddam Husseins, hatte demonstrativ an der Entsendung der Flotte herumgemäkelt und eine Vermittlerrolle für Frankreich gefordert. Nach einem Gespräch mit Ministerpräsident Rocard am Mittwoch hat sich der linksnationalistische Flügel um den Verteidigungsminister zu den Fahnen zurückgemeldet, und auch der Rest der politischen Klasse, von Giscard und Chirac bis Marchais, übt jetzt republikanische Solidarität mit dem Chef der Nation. C'est la guerre!

Mag sein, daß die Lage wirklich so ernst ist. Dennoch ist sonderbar, wie in diesen Tagen jener heiße Sommer von 1939 neuinszeniert wird, jenes Warten auf das Unausweichliche, halb befürchtet, halb herbeigesehnt. Und sind denn nicht alle Elemente bereits vorhanden: der „Anschluß“ eines Nachbarstaates, die diffuse Heils-Rhetorik einer totalitären Ideologie, ja selbst der „Pakt“ zwischen den bislang unversöhnlichen Feinden Iran und Irak?

Das durchaus ungewöhnliche Einschwenken eines französischen Staatspräsidenten auf eine amerikanische Linie mag auch aus jenem unter Frankreichs Politikern immer noch vorhandenen „München-Trauma“ herrühren: Nie wieder aus Schwäche heraus ein kompromißlerisches Nachgeben gegenüber dem Reich des Bösen wie 1938! Kuwait darf nicht das Sudetengebiet der neunziger Jahre werden!

Und siehe da, heißt es boshaft in einigen französischen Editorials: Auch die gemeinsame Front der Pazifisten und Faschisten ist wieder aufgetaucht - all jene also, die schon 1939 nicht „für Danzig“ sterben wollten und stattdessen für einen Kompromiß mit den Kriegstreibern eintraten. Tatsächlich ist neben den französischen Grünen und Trotzkisten, die sich immer noch gegen ein militärisches Eingreifen Frankreichs im Golf aussprechen, der Führer der Front National der einzige Politiker im Land, der noch an eine Verhandlungslösung glaubt. Le Pen legte einen Friedensplan vor, der Irak weitgehende Rechte über Kuwait zugesteht. Überhaupt sei die Kriegshetze gegen den Irak, so das Le-Pen-Blatt 'Minute‘, der „mächtigen jüdischen Lobby“ in den Redaktionen geschuldet. Le Pen hofft, einer schweigenden Mehrheit aus dem Herzen zu reden, die in ihren Urlaubsorten an alles andere denkt, als daran, die Badehosen ein- und die Uniformen auszupacken. Laut einer Umfrage des 'Figaro‘ von gestern setzt sich eine knappe Mehrheit der Franzosen für Zugeständnisse an Hussein ein, um die Freilassung der Geiseln zu erreichen.

In einem „drole de guerre“, in dem wechselseitige TV -Attacken aus dem Golf-Mobil im US-Bundesstaat Maine Kennebunkport oder dem Munde eines Saddam-Doubles die diplomatischen Noten ersetzt haben, ist es nicht verwunderlich, daß die mediale Mobilisierung auch reale Früchte trägt. Die Nation erlebte dank des Privatsenders TF 1 (dessen Besitzer, der Baulöwe Bouyges, allerbeste Kontakte nach Bagdad hat) nicht nur mit, wie der irakische Kulturminister davon sprach, daß abgeschossene US-Piloten „gegessen“ würden, und wie Starreporter Poivre d‘ Arvor ein Geiselbaby im Handgepäck aus dem Irak schmuggelte; eine tränenreiche Gegenüberstellung der Mutter eines festgehaltenen Franzosen mit dem irakischen Botschafter in Frankreich erregte den Zorn des Premierministers. Rocard warnte besonders die Fernsehjournalisten vor dem „Risiko, den Propagandazwecken einer ausländischen Macht zu dienen“. Jetzt heißt es zusammenstehen - c'est la guerre!.