David oder: Kann denn Liebe Sünde sein

■ Er hatte das Weib eines Abends vom Dach seines Palastes gesehen.

Es badete sich und „war von sehr schöner Gestalt.“ David, der tapfere Sieger gegen den übermächtigen Saul, ein Liebling des Herrn, hat Frauen genug, aber es muß diese sein, Bathseba, die Frau des Hethiters Uria. Er schläft mit ihr, sie wird schwanger, David versucht Uria das Kind unterzuschieben, vergeblich. Da schreibt er Uria so kriegsverwendungsfähig, daß Uria fällt. Die Frau trauert, wie es sich gehört, danach heiratet David sie, und sie bekommt einen Sohn. Alles in Ordnung, nur, „dem Herrn mißfiel, was David getan hatte.“

Sein Abgesandter Nathan erzählt David die Geschichte vom reichen Mann mit den vielen Schafen, der, für ein Gastmahl, dem armen Mann das einzige und geliebte Schaf wegnimmt. David findet das eine Schweinerei und todeswürdig, Nathan zieht die Schlinge der Aufklärung zu - der reiche Dieb das schönen Schafs ist David - und droht Unheil an: Gott wird ihm gleiches wiederfahren lassen, ihm die Frauen nehmen und sie „Deinem Nächsten geben, daß er bei ihnen liegen soll an der lichten Sonne. Denn Du hast's heimlich getan, ich aber will dies tun vor ganz Israel und im Licht der Sonne.“

Die Aufklärung über den Splitter im Auge des Nachbarn, der so gut erkennbar ist und die Drohung mit dem Peinvollsten, das wirkt. David gesteht ein: „Ich habe gesündigt gegen den Herrn.“

Der Vikar in der Friedenskirche, der über diese saftige Liebesgeschichte predigen lernt, verfängt sich nicht in den Fleischlichkeiten. Er zieht die übertragbare Lebensklugheit heraus: Dagegen, daß sich das Getane nicht noch und noch fortheckt, hilft nur: Schuld sehen und sagen. In Davids Jerusalem genau wie in zwei posttotalitären Deutschlandteilen.

Was mir noch gefällt an der old story (abgesehen jetzt mal von der Analogie Geliebte Opferlamm): Der David sieht seine „Schuld“ nicht. Offensichtlich hat er sich furchtbar vergafft in die Frau. Was er gewollt hat, ist ja nichts Abartiges. Er hat den Mann ja auch nicht töten wollen. Eigentlich sollte keinem ein Haar gekrümmt werden dabei. Das ging nicht. Da hat er eben ein bißchen seine Möglichkeiten eingesetzt. Uria hätte auch so im Krieg sterben können. Und die Trauerfrist eingehalten und geheiratet und alles. Der „Täter“ ist kein Schwein, ist ein Liebling Gottes, will verständlich Ersehnbares, kann das, im Unterschied zu anderen „Unschuldigeren“ auch durchsetzen. Daß dabei jemand anders zu Bruch geht, gehen soll, ist der blinde Fleck, der sich einstellt.

HEUTE wäre die Geschichte noch weitaus verworrener: Uria wäre ein ziemliches Ekel, Bathseba wär weniger schafig und die Verführung wäre wechselseitig gewesen. Wie soll man da wissen, wer an was schuld ist, wenn Uria es David heimzahlt, „an der lichten Sonne.“

Uta Stolle