Hieb und Stich an der Hundekehle

■ Wespenreiche Begegnung in der Tennis-Bundesliga: Der LTTC Rot-Weiß Berlin bringt sich durch sein 4:5 gegen den RTHC Leverkusen in Abstiegsgefahr

Grunewald. Interessante Stilstudien gestattete das massive Wespenaufkommen auf der Rot-Weiß-Anlage am Hundekehlsee beim Tennis-Bundesligamatch der Berliner gegen Leverkusen. Wo im Frühjahr Steffi Graf und Gabriela Sabatini bei den „German Open“ der Frauen schlagstarke Eleganz und Dynamik vorführen, zeigten diesmal die Protagonisten der deutschen Rangliste und ihre ausländischen Vorgesetzten verschiedene Formen der Insektenbekämpfung auf. Alexander Mronz, einst durch seine nähere Bekanntschaft mit erwähnter Frau Graf weltberühmt geworden, bevorzugte den leicht panischen Wedel-Volley, wobei er die possierlichen Tierchen häufig erheblich genauer traf als zum Beispiel die Aufschlagreturns; sein Berliner Widerpart Markus Zoecke verwendete am liebsten den knallharten, überrissenen Rückhand-Rundumschlag und der Schwede Jan Gunnarsson schüchterte die lästige Tierwelt mit gemessenen, genau kalkulierten Rackethieben ein. Nur Berlins Nummer eins, Alexander Wolkow, gab durch sein geradezu taoistisches Nicht -Tun Rätsel auf: entweder er ignorierte die summende Invasion mit stoischer Konsequenz oder die Biester mochten ihn einfach nicht.

Vielfältiger waren die Varianten des Umgangs mit der aufdringlichen Fauna auf den Zuschauertribünen; wie der eine oder andere spitze Schrei bewies, jedoch nicht immer von Erfolg gekrönt. Angesichts der bescheidenen Besucherzahl hatten die Wespen allerdings auch genug Muße, jedem einzelnen Tennisfreund ausgiebig auf die Pelle zu rücken. „Bei uns spielen die Zuschauer keine Rolle“, sagte Rot-Weiß -Manager Eberhard Wensky, „wir finanzieren uns über Sponsoren und den Club.“ Rund 200 Dauerkarten zum Preis von 135 Mark wurden verkauft, etwa 800 Leute tummelten sich am Freitag auf der geräumigen Anlage, für die fünf Heimspiele werden insgesamt etwa 4.000 Tennisfans erwartet. Die Besucherzahlen haben sich im Vergleich zu den letzten Jahren nicht verändert, der erhoffte Zuwachs aus der DDR blieb aus.

In anderen Städten sieht es wesentlich rosiger aus. Die Tennis-Bundesliga, einst als überflüssige Operettenliga geschmäht, mausert sich langsam zu einer attraktiven Veranstaltung. Während die Berliner das Unternehmen als Talentschuppen sehen und am liebsten den einen pro Team erlaubten Ausländer verbieten wollen, sind es gerade die Ausländer, die anderswo Zuschauer locken. „Natürlich“, sagt Wensky, „wenn in einer Stadt wie Bamberg der Schweizer Marc Rosset gegen den Schweden Niklas Kroon spielt, dann ist das gutes Tennis, das sich die Leute dort gern ansehen.“ Im letzten Jahr sahen erstmals mehr als 100.000 Leute die Bundesliga, diesmal wird - zumal es statt einer Endrunde jetzt Halbfinal- und Finalspiele gibt - ein weiterer Zuwachs erwartet.

Anders als früher, als die verpflichteten Spitzenspieler ihre Namen nur als Staffage verkauften und kaum leibhaftig auftraten, spielen sie jetzt meist ziemlich regelmäßig. Außer Boris Becker (Mannheim), Mats Wilander (Hagen) und dem verletzten Thomas Muster (Nürnberg) traten alle an, die deutschen Cracks wie Jelen, Stich, Wöhrmann, Kühnen ebenso wie die - meist der zweiten Garnitur angehörenden Ausländer. Bis zu 100.000 Mark kassieren Leute wie Gunnarsson, Wolkow, Cherkassow, Masur, Nyström, Motta, Perez, Kroon, Paloheimo für ihre Auftritte. Das bestimmende Element der Bundesliga sind jedoch die deutschen Akteure, die Erfahrungen sammeln oder sich wie der im letzten Jahr ungeschlagene Michael Stich (München) durch Siege über Topleute profilieren können. „Die Bundesliga ist auf einem guten Weg“, befindet Wensky, „und wir möchten natürlich gern dabei bleiben.“

Das ist nicht einfach, denn der fünfte und sechste jeder Gruppe muß in die Abstiegsrunde, und Rot-Weiß lag vor diesem drittletzten Spieltag mit je zwei Erfolgen gleichauf mit den Leverkusenern und ETuF Essen. Ein Sieg mußte her, und deshalb wurde Alexander Wolkow, 50. der Weltrangliste, mitten aus seiner Vorbereitung für die heute beginnenden „US Open“ aus New York eingeflogen. „Gekostet hat uns das nur die Flugkarte“, sagte der Rot-Weiß-Manager, und die Belastung für den Sowjetspieler fand Wensky auch nicht so schlimm: „Es ist ja nur für einen Tag.“ Wunderdinge solle man allerdings nicht erwarten. Gegen den hochmotiviert wirkenden Schweden Gunnarsson hielt sich Wolkow dann aber ganz wacker, verlor in einem ansprechenden Match jedoch mit 7:5, 1:6, 4:6 und schleuderte am Schluß wutentbrannt seinen Schläger ins Netz.

Viel wichtiger für die Berliner war, daß durch den Einsatz von Wolkow als Nummer eins die anderen Spieler einen Rang tiefer rutschten. Markus Zoecke konnte, statt auf Gunnarsson zu treffen, gegen Mronz antreten, den er mit 7:5, 4:6, 7:5 niederkämpfte, obwohl die zwei Fans, die der Leverkusener mitgebracht hatte, mit ihren weltläufigen, voll-coolen „Yes, Alex„-Rufen den Heimvorteil Zoeckes mühelos wettmachten. Alle Mühe war indes vergebens, spät am Abend verloren Zoecke/Finnberg - mittlerweile in der Halle - das entscheidende Doppel mit 4:6, 6:3, 5:7 gegen Mronz/Ballauf. Nach den Wespen hält nun auch noch das Abstiegsgespenst Einzug an der Hundekehle.

Matti Lieske

Gruppe I: HTV Hannover - 1. FC Nürnberg 5:4; BW Neuss Iphitos München 5:4; Waldau Stuttgart - Karlsruhe Rüppurr 8:1; 1. Neuss 7:1 Punkte; 2. München 6:2; 3. Hannover 4:4; 4. Stuttgart 4:4; 5. Nürnberg 2:6; 6. Karlsruhe-Rüppurr 1:7

Gruppe II: Rot-Weiß Berlin - RTHC Leverkusen 4:5; TC Bamberg - ETuF Essen 7:2; RW Hagen - GW Mannheim 4:3; 1. Bamberg 7:1; 2. Mannheim 6:1; 3. Hagen 3:4; 4. Leverkusen 3:5; 5. Berlin 2:6; 6. Essen 2:6.