„Gott schütze die arabische Welt“

■ In Ägypten wird die neue strategische Lage im Nahen Osten heiß diskutiert / Wie flexibel ist Saddam Hussein?

Aus Kairo Petra Groll

„Lassen Sie sich von Ihrer Phantasie tragen, soweit diese es vermag“, fordert Gamil Mattar, Exberater des Generalsekretärs der Arabischen Liga, jetzt leitender Wissenschaftler des Zentrums für arabische Einheit (Sitz in Amman und Kairo). „Die Dimensionen der gegenwärtigen Veränderungen in der Region werden alles überschreiten, was in den vergangen vierzig Jahren, seit der Gründung Israels, geschah.“

Von den Strategien der Nato hänge heute die Zukunft der arabischen Welt ab, stellt er fest und stimmt hier mit Dr. Mohammed Dayed Said vom Ahram-Center für strategische Studien überein. Said hält besonders den Vereinigten Staaten vor, den Boden für die Aggression des irakischen Despoten und für die aufsehenerregend breite Unterstützung Saddam Husseins durch die palästinensische Bevölkerung Jordaniens, Kuwaits und der israelisch besetzten Gebiete der Westbank und des Gaza-Streifens bereitet zu haben.

Generelle Frustration, so Said, entstand nach der kompletten Zurückweisung der Intifada. So hätten die USA unter einem Vorwand den Dialog mit der PLO abgebrochen, der US-Kongreß habe sich der israelischen Auffassung vom Status Jerusalems angeschlossen und 400 Millionen Dollar für die Ansiedlung sowjetischer Juden bewilligt. „Welches Angebot konnten die moderaten Kräfte nach der Absage an Gewalt in der Kairoer Erklärung, nach der Anerkennung Israels in der UN-Resolution 242 noch machen? Verstehen Sie mich richtig: Welches Angebot konnten sie ihren Massen noch machen? Die unweigerliche Folge war das Erstarken der radikal -islamischen Kräfte im Maghreb wie auch in Palästina. Saddam Hussein hat ein Vakuum vorgefunden, das er dann zu nutzen meinte.“ Saddam Husseins Überfall auf Kuwait wird von vielen Beobachtern als historischer Einschnitt gewertet.

Auch war niemand davon ausgegangen, daß es ausgerechnet Kuwait treffen würde, das doch als überaus stabil gegolten hatte. Die Mehrheit der befragten Wissenschaftler und Experten rechnete dann mit einer militärischen Aktion Saddam Husseins gegen Saudi-Arabien, bevor die amerikanischen Truppen sich dort stabilisiert hatten. Ausschließen mag aber niemand eine spätere Intervention. „Gott schütze die arabische Welt“, hieß es erst gerade in einem Leitartikel der ägyptischen 'Wafd'-Zeitung. „Saddam Hussein hat sich in die Ecke manövriert, mit einem wütenden Befreiungsschlag wird er jetzt versuchen, sich daraus zu befreien.“ „Doch“, so wendet der Experte für arabische Politik, Dr. Said, ein, „sollte man nicht vergessen, welch große Flexibilität Saddam Hussein in den langen Jahren des Krieges gegen den Iran gezeigt hat.“

Ein anderer Wissenschaftler des Ahram-Centers hält Kompromisse mit dem irakischen Kriegsherren für durchaus denkbar: So könnten sich die kuwaitische Exilregierung und die Saudis darauf verständigen, dem Irak runde 30 bis 35 Milliarden Dollar Schulden zu erlassen, die beide Regierungen während des Krieges gegen Iran ins Land pumpten. Auch eine erzwungenermaßen militantere Preispolitik der Golfstaaaten, die notgedrungen zur Erhöhung des Weltmarktpreises für Rohöl führt, scheint denkbar. Und letztlich auch eine Grenzkorrektur zwischen Irak und Kuwait, an den Ölfeldern einerseits, betreffs strategisch wichtiger Inseln andererseits.

Eine mögliche israelische Einmischung in die Krise beurteilen die Beobachter recht unterschiedlich. Dr. Hassan Naffaa, Professor für Politologie an der Kairoer Uni, hält es etwa für möglich, daß Israel sich zur Durchsetzung des sogenannten Sharon-Planes entschließt, der neben der militärischen Intervention den Sturz des jordanischen Königs vorsieht sowie eine massenhafte Vertreibung palästinensischer Araber ans Ostufer des Jordans und die endgültige Annektierung der besetzten Gebiete.

Andere Beobachter schließen diese Option aus. General a.D. Ahmed Abdel Halim wagt eine andere Prophezeiung: „Israel wird die Gelegenheit zu nutzen wissen, wenn Irak an einer anderen Front engagiert ist. Es wird erneut in Südlibanon intervenieren, wird freie Hand für die Ansiedlung sowjetischer Juden in den besetzten Gebieten verspüren sowie für ein wesentlich härteres Vorgehen gegen die Intifada.“