Bonner „Herrenrunde“ keilt sich um §218

■ Spitzengespräch beim Bundeskanzler soll Einigungsvertrag retten / Widerstand in Ost und West gegen „Wohnortprinzip“ wächst / Volkskammer beschließt gegen Regierung gleiches Recht für alle

Berlin (taz/dpa/ap) - Der Streit um Deutschlands Gebärmütter ist soweit eskaliert, daß sich Helmut Kohl gestern genötigt sah, die Spitzenmänner der Bonner Koalition und der SPD-Opposition um sich im Kanzleramt zu versammeln. Ziel des Spitzengesprächs war es, die Streitfragen beim Einigungsvertrag mit der DDR auszuräumen. Härtester Brocken war dabei zweifellos die Übergangsregelung zum Schwangerschaftsabbruch in Gesamtdeutschland. Denn der Widerstand in West und Ost gegen die Festschreibung des „Wohnortprinzips“ ist in den vergangenen Tagen drastisch gewachsen und es sieht fast so aus, als ob die Bundesregierung mit ihrem umstrittenen Kompromiß bei einer Abstimmung in Bundestag und Bundesrat auf den Hintern fallen wird.

Die SPD wiederholt unermüdlich ihre Drohung, den Einigungsvertrag platzen zu lassen, wenn diese Regelung nicht daraus verschwindet. Der Vertrag braucht nämlich in Bundestag und Bundesrat eine Zweidrittelmehrheit und somit auch die Zustimmung der Sozialdemokraten. Kommt es stattdessen zu einem Überleitungsgesetz, gibt es für das Wohnortprinzip auch keine Mehrheit, warnte der SPD -Vorsitzende Hans-Jochen Vogel erneut die CDU/CSU.

Auch bei den FDP-Männern mehren sich die Versuche, den unrühmlichen Koalitionskompromiß rückgängig zu machen. Außenminister Hans-Dietrich Genscher, der seinem Parteifreund, Justizminister Engelhard, wegen des parteiinternen Hickhacks um den Abtreibungsparagraphen eine üble Szene lieferte (der beherrschte Mann soll sogar mit der Faust auf den Tisch gehauen haben - berichtet 'dpa‘) wirft seine ganze Autorität für einen Konsens in die Waagschale. Der Einigungsvertrag mit der DDR dürfe an der Abtreibungsfrage nicht scheitern, beschwor er in einem Interview mit der 'Süddeutschen Zeitung‘. Die notwendige Mehrheit dafür gebe es aber „nur mit der SPD und nicht gegen sie“.

Auch in der Volkskammer wurde das Wohnortprinzip abgeschmettert. Nach einer hitzigen Debatte über das Abtreibungsrecht erlitt Ministerpräsident Lothar de Maiziere und seine dezimierte Regierungsriege am Freitag abend die erste Abstimmungsniederlage. Ex-Koalitionspartnerin FDP setzte die Verpflichtung für die DDR-Regierung durch, bei den Verhandlungen über den Einigungsvertrag das „Tatortprinzip“ zu sichern, also Straffreiheit für BRD -Frauen, die in der DDR nach der dortigen Fristenregelung abtreiben lassen. Unterstützung erhielt die Ost-FDP von SPD, PDS und Bündnis90/Grüne.

Die frauenpolitische Sprecherin der West-FDP, Uta Würfel, will inzwischen „den Widerstand der Frauen in der Bundestagsfraktion organisiert“ haben. Das erzählte sie zumindest der 'Bild am Sonntag‘. Ihr Fraktionskollege, der bayerische FDP-Landesvorsitzende Josef Grünbeck, ergänzte: „Wir werden mit den Frauen und Männern in der Union, die unserer Meinung sind, und den Sozialdemokraten die Bundesregierung überstimmen und für eine gerechte Lösung beim Abtreibungsparagraphen 218 sorgen.“

Mal sehen, wen sie in der Union gewinnen können. Nachdem Rita Süssmuth ihren „Dritten Weg“ (Streichung des §218, Zwangsberatung und Lebensschutzklausel) wirkungsvoll in die Debatte geworfen hat, ist es um sie und ihre SympathisantInnen in der CDU/CSU sehr ruhig geworden. Zum Wohnortprinzip war ihr bisher nur zu entlocken, daß sie es für rechtens hält, ansonsten aber Probleme mit der Zweiteilung des deutschen Rechtsgebiets habe. Rita Süssmuth bekam für ihre vornehmes Schweigen auch prompt Schelte von den SPD-Frauen. Sie könne „in dieser entscheidenden Phase nicht kneifen“, forderte die Vorsitzende der Arbeitsgemeinschaft Sozialdemokratischer Frauen (ASF), Ingrid Wettig-Danielmeier, die Bundestagspräsidentin heraus.

Die Grünen im Bundestag warfen dem Bundeskanzler undemokratisches Verhalten vor, weil sie zum Spitzengespräch nicht eingeladen worden waren. Fraktionssprecherin Antje Vollmer beschwerte sich, daß eine „Herrenrunde“ über den Paragraphen 218 diskutiere, die Frauen, die BürgerInnenrechtsbewegungen und die Grünen aber draußen bleiben müßten.

uhe