„Ruft mich an, wenn der Weltuntergang beginnt!“

■ In der ägyptischen 15-Millionen-Metropole Kairo geht die Angst vor einem neuen Nahost-Krieg um / Am Nil kann der irakische Präsident Saddam Hussein kaum auf große Sympathien hoffen / Erlebnisberichte und Gerüchte über das Vorgehen von Saddams Soldaten machen die Runde

Aus Kairo Petra Groll

„Es würde mich nicht wundern, wenn sie uns anweisen, die Fenster zu verdunkeln und die Autoscheinwerfer schwarz anzumalen“, sagt Aischa, eine knapp vierzigjährige Ärztin. An den letzten arabisch-israelischen Krieg von 1973 erinnert man sich hier in Kairo noch gut. Als die Armee schon vor Monaten im Rahmen regulärer Reserveübungen auch Listen von Medizinern von den Universitäten anforderte, da habe sie ein sehr mulmiges Gefühl gehabt. Sei denn nicht allenthalben vom Krieg geredet worden? „Es war schon lange ein Gefühl, als säße man auf einem Pulverfaß.“

Bislang hat Ägyptens Präsident Mubarak nur eine symbolische Spezialtruppe von 2.000 Mann in die saudi-arabische Wüste geschickt, jedoch keinen Zweifel gelassen, daß es schnell mehr, bis zu 75.000 Mann, werden können. „Und blieben wir dann verschont? Glaubt ihr vielleicht, Saddam würde auch nur zögern, Kairo zu bombardieren?“ Auch Karima, Hausfrau und Mutter, hat den letzten Krieg nicht vergessen. „Meine Kindheit und Jugend waren davon geprägt“, sagt sie. „Zwar waren wir in Kairo objektiv sicher. Doch wir lebten stets in der Angst um einen Verwandten, um Freunde... Dann die Einschränkungen des täglichen Lebens. Ich habe Angst, und ich habe genug davon...“

Mehr als klimatische Veränderungen lassen sich bisher in der ägyptischen Hauptstadt nicht feststellen. Keine Zivilschutzübungen, kein probeweiser ABC-Alarm. Der wäre auch kaum vorstellbar in einer Metropole mit 15 Millionen Menschen. Im noblen Botschaftsviertel von Zamalek sind die Wachen vor den ausländischen diplomatischen Vertretungen verstärkt worden. Ein erhebliches Aufgebot der „Anti-Riot -Police“, einer Spezialtruppe des Innenministeriums zur Bekämpfung von Aufruhr in der Bevölkerung, ist zum besonderen Schutz der irakischen Botschaft abkommandiert worden. Schaukästen mit farbigen Postern des Präsidenten Saddam Hussein schmücken die Mauern des Vorgartens: Saddam Hussein betend. Lächelnd in Uniform. Ernst und entschlossen bei der Luftwaffe. Breit lächelnd beim Fischen. Mit Mädchen im Tüllkleid und Blumenstrauß. Keine neugierigen Blicke, kein Publikumsverkehr. Keine Arbeit mehr für die Beamten der Visa-Abteilung. Die Zeiten der millionenfachen Anträge von ägyptischen Erwerbslosen auf Beschäftigungs- und Einreiseerlaubnis ins wirtschaftlich lange prosperierende Zweistromland sind vorbei.

Drei, manchmal vier große Lastwagen mit Anti-Riot-Truppen parken rund um die Uhr ein paar Meter weiter, vor der benachbarten indischen Botschaft. Vor der nämlich stehen ein paar schöne, alte Bäume, die wenigstens Schatten spenden. Unter den blickdichten Planen der LKWs müssen sich die Mannschaften wie in der Sauna fühlen. Verschwitzt und verschlafen blinzeln sie aus der rückwärtigen Öffnung, zischeln und flöten nach vorbeieilenden Passantinnen. Zum Einsatz sind die Anti-Aufruhr-Truppen bislang jedoch nicht gekommen. Als Kuwaitis, die in großer Anzahl in der ägyptischen Hauptstadt gestrandet sind, ihren Protest gegen die Annexion ihrer Heimat manifestierten, da machten sie einen großen Bogen um Saddam Husseins Botschaft. Noch spät nachts trifft man Kuwaitis beim Spaziergang am Nil. Weithin leuchten ihre weißen Dischdaschas.

„Meine Mutter ist fest überzeugt, daß Saddam der große Antichrist ist, vor dem Nostradamus warnt, er werde den vierzigjährigen Krieg vom Zaune brechen“, erzählt Mona. Schon morgens legt sie die Karten, um in die Zukunft zu schauen. Dann telefoniert sie stundenlang mit ihren Freundinnen, die ebenfalls Karten legen. Ihre Dienerin ist schon komplett hysterisch, denn deren Sohn hat sich für 4.000 Dollar monatlich den Saudis verpflichtet. Selbst wenn er im Krieg fallen sollte, wird die Familie durch die saudische Rentenzahlung besser versorgt sein, als wenn er überlebt.

Die ägyptische Bevölkerung scheint wie aus einem langen Dämmerzustand erwacht. Jahre liegt es zurück, daß man sich so viel zu sagen hatte. Und selten geht es um etwas anderes als die drohende Kriegsgefahr. Alle machen sich die gleichen Sorgen und stellen fest, daß man einander - trotz aller Alltagsstreitereien - wohl doch mag. „Wird es Krieg geben?“ lautet in diesen Tagen spätestens die vierte Frage im obligatorischen Begrüßungszeremoniell: „Wie geht es dir? Wie geht es den Kindern? Was gibt es Neues? Wird es Krieg geben?“

„Lieber von den Amerikanern besetzt als von Saddam beherrscht“, tönt es provokant aus einer Gruppe Studenten, die Eis essen. Widerspruch regt sich kaum. „Das ist schwer zu sagen“, heißt es nur moderat, „Saddam Hussein hat doch in vielen Punkten recht. Aber es ist eben Sadam Hussein, der das sagt, und was von dem zu halten ist, das wissen wir. Ein falscher Prophet.“

In der Tat gibt es wohl kaum einen ägyptischen Haushalt, den nicht das Schicksal eines Verwandten oder Freundes beschäftigt. Wie Lauffeuer werden Horrorgeschichten von Erlebtem und Erzähltem verbreitet. Betrug und Diebstahl sind die geringsten Übel, die den irakischen Soldaten angelastet werden, Vergewaltigung und Mord die groben Vorwürfe. „Wie die Hunde werden wir Ägypter im Irak behandelt“, entrüstet sich ein Zeitungshändler, „das haben wir nicht verdient.“

„Es wird Zeit, daß wir unseren Standpunkt neu bestimmen. Das ist doch ganz offensichtlich. Die 1001 Nächte der arabischen Solidarität und Brüderlichkeit sind vorbei. Können wir das nicht auch als Chance begreifen? Umdenken, Kreativität. Was wollen wir, wenn nicht den Despotismus? Demokratie, individuelle Freiheiten...“, versucht ein Kairoer Filmemacher seinen Freundeskreis aufzumuntern. Spricht's, geht sich verabschiedend zur Tür. Noch auf der Schwelle dreht er sich um: „Ruft mich an, weckt mich, wenn der Weltuntergang beginnt!“