„Die Leute nicht betupsen“

Zehn Jahre „Buten & Binnen“: Michael Geyer, Chefredakteur im Bremer TV, über u.a. Ermöglichungsfernsehen  ■  hierhin bitte das

Männerkopffoto

Michael Geyer

taz: Ist Ihnen das angenehm, interviewt zu werden? Oder sind Sie lieber auf der anderen Seite?

Michael Geyer: (lacht) Aber eindeutig!

Also. Sie haben vor zehn Jahren als Ex-Rundfunkredakteur bei „Buten und Binnen“ angefangen und sind jetzt Chefredakteur vom Fernsehen. Sagt das schon was über Buten und Binnen aus?

Ja, daß einer von uns Chefredakteur werden konnte, sagt was darüber aus, welchen Stellenwert das ganze Projekt in diesem Haus hatte.

Karriere ist was Schönes?

Och nö, wieso soll Karriere was Schönes sein?

Wieso soll ich das wissen?

Ich finde es nicht, nee.

Möglicherweise kommen Sie weniger zum eigentlichen Journalismus.

Das stimmt, ja. Aber ich komme Foto: forum

immerhin dazu, andern zu ermöglichen, ihren Job so zu machen, wie sie ihn gerne machen wollen. Es gibt ja Karrieren von Leuten, die eher im Verhinderungsdenken groß geworden sind. Und ich denke, wir haben uns hier eher im Ermöglichen profiliert.

Nun schreiben Sie selbst zum Zehnjährigen, Buten und Binnen hätte damals sehr selbstgestrickt angefangen. Um im Bild zu bleiben: Gab's da auch Maschen, die fallengelassen worden sind?

Damals, in den allerersten Monaten, haben wir gesagt, wir müssen aufpassen, daß wir nicht ständig aus den Chefetagen berichten. Aus dieser fixen Idee hat sich wohl teilweise eine Nachrichtengebung entwickelt, daß die Leute gemeint haben, wir machen Betriebsrätefernsehen. Das haben wir fallenlassen, als wir geschnallt haben, daß das ohne

Chefetage auch nicht geht. Daß man die genauso braucht, wenn man bestimmte Sachen rauskriegen will oder gegen bestimmte Sachen polemisieren.

Wie neugierig kann man noch sein nach zehn Jahren Buten und Binnen?

Da ist einmal die riesige Neugier, ob man nochmal zweidreivierfünfsechs Jahre mit dem gleichen Elan schafft. Und da sind wir wieder bei dem andern Punkt, der sogenannten Karriereüberlegung: Mir ist schon klar, daß der Elan für die nächsten Jahre nicht von denen kommen kann, die das vor zehn Jahren angefangen haben. Der Elan, die Neugier, der Schwung muß jetzt von den andern kommen, und deshalb sind bei uns auch viele jüngere Leute nachgerückt, die Druck machen.

Und wir haben bei Radio Bremen eben auch nicht den durchpolitisierten Apparat in den Chefetagen, den hat es eigentlich in der ganzen Zeit nicht gegeben - im Unterschied zu andern ARD-Anstalten. Hier kann man eben nicht über Parteibücher wichtige Aufgaben wahrnehmen.

Wird die Zukunft nach der ARD-Harmonisierung denn nun harmonisch auch für Buten und Binnen?

Die Harmonisierung wird sich im Januar in der Programmstruktur bemerkbar machen, d.h. die ARD meldet sich im Vorabendpro gramm mit ein bis zwei großendickenfetten Serien, von denen alle hoffen und beten, daß sie ganz erfolgreich sein mögen, damit die Werbung auch anschließend gut verkauft wird. Und für uns heißt das, daß wir fünf Minuten abgeben müssen.

Besitzen Sie eine Fernsehtheorie?

Ob ich 'ne Fernsehtheorie habe? Um Gottes willen (Lacht). Im kommunikationsphilosophischen oder im politökonomischen Sinne?

Ich wähle das erste.

Im kommunikationsphilosophischen Sinne habe ich die Theorie, daß es eigentlich gut wäre, wenn die Leute viel weniger fernsehen. Ich habe die Idee, daß wir im Moment die Bestätigung der konservativen Medienpolitik aus den 70ern erleben, wo's darum ging, das Fernsehen zu entautorisieren.

Ich denke, damit war gemeint: Das Fernsehen hat viel zuviel Einfluß, bemächtigt sich der politischen Themen auf eine Weise, wie die Politiker das gar nicht gerne sehen. Entautorisierung damals hat auch gemeint Entpolitisierung des Fernsehens, Entmündigung. Und der Coup ist im Grunde genommen gelungen. Wir sitzen heute in einer medienpolitischen Situation, wo der Bundesbürger 20 Programme sehen kann; früher gab es Panorama-Sendungen, die haben die Straßen gefegt. Heute muß davor keiner mehr Angst haben, weil auf den andern 17 Programmen Glücksräder, Fernsehkliniken, Ratespiele laufen. Ein Zuschauer, oder weil wir bei der taz sind, auch eine Zuschauerin, die den ganzen Tag Glücksräder sieht, ist natürlich apriori entautorisiert, die nimmt die Welt aus der Perspektive von Rätselspielen wahr. Und sich dagegen zu behaupten, finde ich eine ganz wichtige öffentlich-rechtliche Aufgabe. Und nicht selber Glücksräder in netter kleiner Form zu produzieren.

Nun haben Sie ja ein nettes kleines Kreuzworträtselspiel im Bremer Vorabendprogramm.

Das ist eben der Versuch, über den man sehr streiten kann, ob

man sich diesem anpaßt, wobei - wenn man das in so kleiner harmloser Form macht, man sich natürlich fragen kann: was soll's?

Wir fühlen Sie sich eigentlich als öffentlich-rechtliche Person?

Das ist ja im Grunde eine Art von Selbstbelästigung. Aber damit leben wir jetzt schon lange, damit hat man sich sozusagen arrangiert.

Sie bilden ja nicht nur Öffentlichkeit ab, sondern verändern auch mit dem Kamera-Auge Wirklichkeiten.

Ganz schwieriges Problem. Was soll man da machen? Sendebetrieb einstellen. Nein, diese Veränderung hat ja teilweise groteske Züge angenommen, etwa als einmal ein Konsulat besetzt werden sollte und die Initiatoren haben vorher ihre Geschichte bei uns angemeldet. Das ist ne ganz heikle Geschichte für uns gewesen, daß andere uns wichtiger nehmen als wir uns selbst.

Naja, man hat schon den Eindruck, daß „Buten und Binnen“ sich auch ziemlich wichtig nimmt. Ich les‘ mal aus der Pressemitteilung zum Zehnjährigen vor: stets neu, unterhaltsam, informativ, überraschend, verläßlich, frech, fair und unabhängig.

Wo steht das?!

In der Jubel-Mitteilung.

In unserer eigenen???

Ebenda.

Das ist zitiert von jemandem.

Das ist von mir zitiert.

Hat das jemand von uns gesagt?

Ihr Programmdirektor.

Der ist insoweit aussem Schneider, weil er ja sozusagen ganz frisch zu uns gekommen ist. Der hat sich unabhängig ein Urteil gebildet - und warum soll er das auch nicht laut sagen?

Kritik und Selbstkritik ist Ihnen aber wichtig?

Ja. Sich gegenseitig fertigmachen ist ganz wichtig, glaube ich. Solidarisch, aber doch klar, kompromißlos. Das gibt durchaus bei uns in der Redakion Heulen und Zähneknirschen, im Wortsinne.

Was für ein Verhältnis haben Sie zum Thema Lachen und Journalismus?

Lachen... jaja, das kenn ich, das ist die berühmte Mundwinkelakrobatik, die Fernsehjournalisten abverlangt wird. Ich weiß, daß ich da die Leute immer wieder frustrieren muß, weil sie die weißen Zähne nicht sehen, das ist auch eine der Zumutungen, die die Bremer ausgehalten haben. Aber ich will den Leuten ja was vermitteln und sie nicht betupsen. Gespräch: clak