Kreuzbergs Szene machte um zehne dicht

■ Über siebzig Kneipen ließen gestern um 22 Uhr die Rolläden runter / Danach Treffen auf dem Spreewaldplatz

Kreuzberg. Der Konflikt um die Handhabung der Schankordnung (taz berichtete) erreichte gestern abend einen neuen Höhepunkt. Über siebzig Cafes und Kneipen in 36 und 61 schlossen sich dem Ausschankstreik für eine tolerantere Handhabung der Schankordnung an. Bereits zur Öffnung der Gaststätten hingen gestern überall Flugblätter aus, auf denen die Kampfmaßnahme der Kneipenwirte angekündigt wurde. In ihnen wurde das Tiefbauamt und alle zuständigen Stellen aufgefordert, zum alten Zustand bei der Handhabung der Schankordnung zurückzukehren. Bekanntlich erhielten in letzter Zeit viele Kreuzberger Gaststättenbetreiber Strafbescheide, weil sie noch nach 22Uhr auf der Straße ihre Gäste bedienten.

Cafe „Altenberg“ an der Görlitzer Straße, kurz vor zehn: Die Kellnerin kassiert die Gäste ab, sie wissen durch den Aushang bereits Bescheid. Viele von ihnen haben bereits mit ihrem Namenszug auf der ausliegenden Unterschriftenliste dafür votiert, daß auch künftig in Kreuzberg die Bürgersteige nicht des Abends um zehn hochgeklappt werden. Langsam leert sich der Raum, viele Gäste ziehen vom Cafe aus zum Spreewaldplatz. Ein Kreuzberger Gaststätteninhaber zur taz: „Eigentlich wollten wir eine richtig große Protestfete starten - mit Freibier und so. Doch um kein Risiko einzugehen - immerhin würde es sich ja dabei um eine unangemeldete Veranstaltung handeln -, haben wir uns entschlossen, lediglich unsere Kneipen um zehn dichtzumachen; wer will, kann ja dann zum Spreewaldplatz kommen - wer nicht, geht eben nach Hause. Wir wollen friedlich für den Erhalt des spezifischen Kreuzberger Flairs eintreten und niemandem Anlaß geben, unseren Protest zu mißbrauchen.“ Der Massenprotest solle den Forderungen der Kneipiers und ihrer Gäste Nachdruck verleihen. Die Befürchtung gehe in Kreuzberg um, daß im Zuge der „Hauptstadtneurose“ von einigen Saubermännern der Kiez zu einem „STINO-Viertel“ (von STInkNOrmal) umfunktioniert werden könnte. Der Wirt, der nicht genannt werden will: „Da steckt wohl immer noch ein paar Leuten Streibls Horrorvision von der „Hauptstadt Kreuzberg“ in den Knochen.“

Heute um vierzehn Uhr wollen die Gastronomen im „Regenbogenkino“ ein Hearing zu ihren Problemen veranstalten. Geladen sind dazu unter anderem der Regierende Bürgermeister, der Bezirksbürgermeister und die Baustadträtin. Wie die taz erfuhr, weilt Walter Momper zwar in Bonn, doch will er einen Vertreter schicken. Baustadträtin Eichstädt soll ebenfalls ihr Kommen zugesagt haben.

Olaf Kampmann