Exotische Heimat

■ „Liebe und Maloche“ - erstes Resultat der Berliner Drehbuchwerkstatt

Nachdem selbst das Kampfblatt der Avantgarde des kulturellen Mainstream, ein Hamburger Nachrichtenmagazin, langsam beginnt, die Reize von trash zu entdecken (Massenmörder, Serienkiller, „The Two Jakes-Killings“ etc.), verwundert es wenig, daß sich auch zwei so graumelierte Kulturmatronen wie das ZDF und die senats-gestützte Berliner Drehbuchwerkstatt an dieses Thema wagen. Wie auch neuerdings ein anderes Filmgenre zu bestaunen ist: der neue deutsche Heimatfilm.

„Schmutz“, „Wedding“, „Das einfache Glück“, „Hopnick“ - mit großen Augen wird ein Blick getan in die Abgründe der deutschen Spießerseele, in die seltsame und fremde Welt der Kleinbürger. Schmuddelten diese bisher nur als farblose Statisten durch „Derrick“, „Tatort“ und „Der Alte“ oder erschienen als Ausfällungen peinigend langatmiger Sozialdramen („Die Ilse ist weg“), so entdecken die jungen Autoren und Regisseure von heute, liebevollen Ethnologen gleich, ganze Kontinente. Und sie stellen im post -historischen „New Age“ von Benneton & Peter Stuyvesant fest: nicht nur Asylbewerber und Aussiedler, nein, auch die Nachbarn gehören zur Art des „Homo sapiens“, sind voll bis oben hin mit menschlichen Gefühlen und stehen manches Mal einsam und verlassen dem Grauen gegenüber.

„Liebe und Maloche“, zu dessen Vorstellung die Berliner Drehbuchwerkstatt geladen hatte, ist so ein Film. Das Buch von Ute Bönnen entstand im Rahmen der Werkstatt; Regie führte Bettina Woernle, die Berliner „Fritz Wagner Film“ produzierte den Streifen für das ZDF. Bei so viel Engagement für eine gute Sache hätte auch Frau Anke Martiny („The incredible invisible woman“) bei der Pressevorführung am Donnerstag in der Akademie der Künste nicht fehlen dürfen. Doch wie es zu jedem guten Running-gag gehört, war sie auch diesmal souveräne Konsequenz und Kontinuität und blieb der Veranstaltung fern.

„Wenn Paul, ein fünfzigjähriger Schlosser, etwas aufzuweisen hat, dann sind es Schulden, eine gescheiterte Ehe und ein einfaches Leben“ - so der Pressetext. Das erinnert an die berühmten ersten Sätze der hard-boiled -Krimis eines Jim Thompson oder die Fehlfarben der 70er -Jahre-Filme in Bahnhofskinos. „Das einfache Leben“ verspricht exotische Wonnen: sleaze, gore, trash. Die Handlung: Paul versucht sich selbständig zu machen; Kampitzke, ein ehemaliger Auftraggeber, schuldet ihm noch Geld, rückt es aber nicht raus. Statt dessen sitzt er in einer schicken Vorortvilla, süffelt Cognac, hat einen betrügerischen Konkurs hinter sich und macht uns gut das Schwein, das Ekelpaket, den unehrlichen, ausbeuterischen Geschäftemacher: kurz, den fixen Unternehmer von heute, der illegal ausländische Schwarzarbeiterkolonnen beschäftigt. Paul indes, die ehrliche Proletarierhaut, muß zurück in die Fabrik, malochen. Mit seinem Lohn kann er seine Schulden nicht bezahlen, Gerichtsvollzieher und Lohnpfändung drohen. So ergibt auch er sich der Schwarzarbeit, geht sogar einen Deal mit Kampitzke ein. Der zweite Handlungsstrang - „Liebe“ - besteht aus dem vergeblichen Versuch, mit der Frau eines Kollegen einen neuen Anfang zu wagen. Der Film wandert so vor sich hin, ruht sich aus, mal hier und da, zieht am Ende noch einen dramatischen Subplot ein.

Ute Bönnen, die Autorin, sagt, es sei ihr um ein Milieu gegangen, das sie sehr gut kenne, ein Kleine-Leute-Milieu in den Industriegebieten am Rhein. „Liebe und Maloche“ lebt von Details: Man trinkt Schnaps, zu jeder Gelegenheit, „nimmt einen zur Brust“, man sagt „gute Stube“ zur Anbauwand -Sitzgruppe-Rauchtisch-Fernseher-Wohnlandschaftseinöde. Die Frau macht Ikebana, und Paul hält das für eine asiatische Kampfsportart. Familienfeste wie Geburtstag oder Leichenschmaus finden in der Kneipe statt; da musiziert dann die örtliche Kapelle; man schießt Erinnerungsgruppenfotos, das ist schmuck und schick und guter Laune; während ausgelassener Feste im Partykeller schafft man sich beim Apfelsinentanz zu Costa Cordalis und all den anderen Größen des echten Industrial-pop.

Viele Worte werden nicht gemacht, eher haut man sich auf die Schulter oder tappst behutsam aneinander herum. Freunde, Männerfreunde, sind wichtig, da hilft man sich aus, geht zum Angeln, Kegeln, Skat-Kloppen, kippt Bier und Korn; und geht die Freundschaft zu Bruch, da bringt man sich schon mal um, einsam und hysterisch und in der Badewanne. Im Hobbykeller bastelt man diese kleinen Modellkriegsschiffe, bekommt leuchtende Augen und versteckt Geld vor der Alten. Selbstverständlich sind alle Wohnungen in bräunlichen Tönen gehalten, und da steht dann auch der groteske Ramsch rum, den Einrichtungshäuser als erlesenen Schmuck anbieten. Gibt es Probleme, versagt die Sprache schnell, dann schüttelt man sich und sitzt später mit verzweifelter Miene vor dem Fernseher.

Man ist praktisch-eigennützig - wenn einer kotzt, hält man ihm das Gesicht in den eigenen Mantel - und sexuell nicht ganz so befreit; doch „obszön sein, das kann schön sein“. Wie im einfachen Leben halt.

Bettina Woernle, die Regisseurin, fand das Ruhrgebiet ideal: „Schön häßlich alles.“ Genau jene Szenen aber, in denen Kameramann Slawomir Idziak poetisch sein möchte, gehören zu den schwächsten des Films. Schwefelgelbe Himmel über düsteren Fabriksilhouetten sind manieristisches Pathos. Eine Szene, in der Paul nachts auf dem Bau malocht und die Funken seines Schweißgerätes dem vor ihm stehenden Kampitzke zu einem gigantischen Schatten verhelfen, der dann einem expressionistischen Bösen gleich, über der ganzen Szene hängt: What a laugh! Ansonsten hält sich die Regie in „Liebe und Maloche“ sehr zurück, der Film hat kaum Tempo und keinen Rhythmus. Das mag im Sinne der Regisseurin sein: Die Geschichte soll „beiläufig“ erzählt, den Schauspielern zu Glaubwürdigkeit verholfen werden. Mag sein. Offensichtlich konnte man sich nicht so recht entscheiden, was Sache ist. Die Berliner Drehbuchwerkstatt immerhin hat bewiesen, daß sie nicht nur vorhanden, sondern auch fruchtbringend ist.

R. Stoert

„Liebe und Maloche“ ist am 5. November um 19.30 Uhr im ZDF zu sehen.