Leipziger Messe ohne Privileg

■ Messeamt Leipzig rüstet mit neuem Konzept zum Kampf um die „Ost-West-Drehscheibe“ / Der neue Trend geht in Richtung Konsumgüter / Die neureiche Messestadt Hannover ist dabei, Leipzig endgültig den Rang abzulaufen

Aus Leipzig Stefan Schwarz

Vorbei sind die Zeiten, als die Autobahn zwischen Berlin und Leipzig in einer einzigartigen logistischen Leistung von jeglichem Verkehr befreit wurde und eine Karawane blauer Volvos, den „Silberpfeil“ des Generalsekretärs fürsorglich in ihrer Mitte haltend, zur Messestadt rasten.

Vorbei sind die Zeiten, als die Montagzeitungen den Rundgang des kleinen Vorsitzenden mit drei Dutzend stereotyper Fotos dokumentierten, und jedes brüchige „Hallo“ des Staatschef sich säuberlich im Text wiederfand. Vorbei sind aber auch die Zeiten, als der ehrliche Hans in nationaler Verantwortung seine etwas mehr erdverbundenen Schritte durch die Messehallen lenkte und sich unbefangen von repräsentativen, superblonden Holländerinnen abküssen ließ. Vorbei sind die Zeiten, da die Zeitungen voll von Joint-venture-Verkündigungen waren und alle Welt hoffte, daß der reiche Bruder aus dem Westen mit der verwirrt vor sich hin murkelnden DDR-Wirtschaft schadlos in die soziale Marktwirtschaft hineinkooperieren würde.

Und tatsächlich war die Frühjahrsmesse 1990 so etwas wie eine Rekordmesse. 9.000 Aussteller aus 69 Ländern präsentierten sich auf den völlig überbuchten Messegelände.

Nur noch ein paar interne Regelungen, etwas mehr Rechtssicherheit, denn das „Kapital ist ein scheues Reh“, wie Waigel zur selben Zeit in Leipzig verkündet hatte, und dann mußte es nur so boomen in ostdeutschen Landen. Das geschah aber nicht. Die zunehmenden Erkenntnisse über den Zustand der maroden einheimischen Wirtschaft, der Währungsschock und das mehr als vorsichtige Engagement der bundesdeutschen Wirtschaft brachten Ernüchterung. Auch für die Leipziger Messe.

Im Juli legte das Leipziger Messeamt, nun auf dem Weg zur GmbH, ein neues Konzept vor, das den Bestand der Messe im Wettbewerb mit den anderen, bundesdeutschen Messeplätzen sichern soll. Doch die Ausgangsbedingungen sind alles andere als rosig. Die Infrastruktur ist in Leipzig weit schlechter als selbst in anderen Städten der DDR.

Ohne die Tausenden Privatquartiere zum Beispiel müßten die meisten der PR-Manager und Kaufleute in ihren BMWs nächtigen. Parkplätze sind schon außerhalb der Messezeit eine knappe Ressource. Kommunikationstechnik gibt es in Leipzig nur als bleiche Schatten. Tradition und Erfahrung im Handel mit Osteuropa möchte das Leipziger Messeamt dagegen in die Waagschale werfen. Aber die Leipziger Herbstmesse dieses Jahres präsentiert sich nicht gerade als Brückenkopf des westlichen Kapitals für den Feldzug gen Osten. Im Gegensatz zur Rekordmesse des Frühjahrs sind diesmal „nur“ 6.000 Unternehmen aus 53 Ländern erschienen.

Während Leipzig in realsozialistischen Zeiten aus einleuchten Gründen ein Standort des Investitionsgüterangebots war, ergibt sich nun zum ersten Mal ein deutlicher Trend hin zu Konsumgütern. Knapp ein Zehntel der Ausstellungsfläche benötigt allein die Automobilindustrie. Ging es früher darum, präsent zu sein, um die wenigen, aber lukrativen staatlichen Aufträge für diverse Investitionen zu ergattern, läuft nun der Kampf um die neuen DM-Menschen.

Überproportional im Vergleich zu früher: Haushalts- und Wirtschaftsgeräte, Unterhaltungselektronik. Die Pläne des Leipziger Messeamtes tragen dem neuen wirtschaftlichem Um oder besser Unfeld Rechnung. Die „weichen“ Branchen Touristik, Möbel und Einrichtung, Haus und Garten, Autos, Büro- und Informationstechnik sowie Handel und Gastronomie sollen in kleinen Messen über das Jahr 1991 verteilt, ostdeutschen Möglichkeiten und Märkten Rechnung tragen.

Ein paar hundert Kilometer weiter nordwestlich brüstet sich die neureiche Messestadt Hannover mit ihren Leitmessen globalen Couleurs. Einst gehörte dieser Ruhm Leipzig. Aber „Messestadt Leipzig“ ist in diesem Wettbewerb längst keine Selbstverständlichkeit. Das wußte schon früh Leipzigs Oberbürgermeister Lehmann-Grube, und der ist schließlich mit der Sachlage vertraut. Der Mann ist Mitglied des Hannoveraner Messevereins.