„Das läßt der Willkür breiten Raum“

■ Polnischer Sozialrat in West-Berlin zu den neuen Einreisebeschränkungen für PolInnen

INTERVIEW

Ausgerechnet am 51. Jahrestag des Einmarsches der Nazis in Polen traten neue Restriktionen für PolInnen, die nach West -Berlin reisen, in Kraft: Sie müssen entweder eine Einladung oder eine Hotelreservierung bzw. Geld für die Übernachtung vorweisen. Diese, von den Westalliierten in Berlin abgesegnete neue Verordnung wurde bereits vor zwei Wochen auf der BRD-Innenministerkonferenz beschlossen und jetzt von den DDR-Zöllnern umgesetzt.

taz: Wie hat die polnische Seite von den Bestimmungen erfahren?

Witold Kaminski: Am 30. August wurde der polnische Botschafter ins Ostberliner Innenministerium zitiert. Dort hat man ihm mitgeteilt, daß diese neuen Bestimmungen am 1. September in Kraft treten. Wobei überhaupt nicht näher gesagt wird, wieviel Geld für Übernachtungen nötig ist - das läßt der Willkür der Zöllner breiten Raum. Aber noch viel schlimmer ist das Datum des Erlasses. Hierzulande ist die Vergangenheit offenbar schon bewältigt. Auch im Ost- und West-Fernsehen war an diesem Tag nichts über den Überfall auf Polen zu hören.

Und was sollen diese neuen Restriktionen?

Im Mai und Juni sind die damals schon diskutierten Einreisebeschränkungen für Polen damit begründet worden, sie würden hier in Massen zum Einkaufen und Verkaufen einreisen. Doch erstens gibt es seit 1. Juni neue Zollbestimmungen in Polen, die das Handeltreiben ohne Gewerbeschein verbieten. Und zweitens hat sich alles umgekehrt: Während hier der Polenmarkt fast leer ist, kaufen seit der Währungsunion massenhaft DDR-Bürger im billigen Polen ein.

Wie massenhaft sind die Einkäufe?

An den Grenzübergängen sieht man, daß viele Autos aus der DDR kommen. Viele DDR-Bürger, darunter auch unheimlich viele Zöllner, kaufen dort buchstäblich alles; sie befinden sich in einem richtigen Kaufrausch.

Und wie finden die Polen das?

Anders als hier freuen sich die Leute, denn die DDR-Bürger beleben den Absatz und kaufen Dinge, für die die Einheimischen kein Geld haben. Außerdem kommt damit Tourismus ins Land.

Es gibt also nur Begeisterung?

Nein, natürlich nicht. Viele Polen interpretieren die jetzige Situation so: Wir haben mit Solidarnosc 1980 den Anstoß für die Revolution in Osteuropa gegeben; seitdem werden wir beiseitegeschoben. Wir wollten nach Europa, jetzt wird uns die Tür des europäischen Hauses vor der Nase zugeknallt. Die deutsche Minderheit in Polen ist seit 1950 anerkannt und hat alle Rechte. Damals zählte sie 250.000 Köpfe, doch bis heute sind anderthalb Millionen Deutsche aus Polen ausgewandert und als Vertriebene anerkannt worden. Die polnische Minderheit hier aber - in Berlin immerhin 100.000 Menschen wird nicht anerkannt - im Gegenteil: Die Behörden tun alles, um die Polen loszuwerden.

Und es gibt immer wieder schlimme Übergriffe. Vor rund zwei Monaten beispielsweise haben Schlägertrupps alle polnischen Autos am Potsdamer Platz demoliert. Man darf sich also nicht wundern, daß mehr und mehr eine antideutsche Stimmung in Polen entsteht, obwohl es so leicht wäre, dagegen etwas zu tun.

Wie?

Gedankenaustausch statt Warenaustausch - unter diesem Motto möchten wir gern im tschechisch-polnisch-deutschen Grenzgebiet Begegnungsorte schaffen, wo man Kulturveranstaltungen und Diskussionen abhalten kann. Wo man jenseits der Idiotie von Grenzen, Einreisebestimmungen und all diesem Quatsch leben kann.

Interview: Ute Scheub