Eine Niederlage von psychologischer Bedeutung

■ Nach Auffassung des Frankfurter Anwalts Christoph Kremer darf die Zurückweisung der Klage im „Holzschutzmittelverfahren“ keine juristischen Konsequenzen für die anhängigen Zivilverfahren haben / Jetzt müssen die Zivilgerichte in die Beweisaufnahme eintreten

INTERVIEW

taz: Die Umweltstrafkammer des Landgerichts Frankfurt hat die Eröffnung des Hauptverfahrens im sogenannten Holzschutzmittelverfahren wegen fahrlässiger und teilweise vorsätzlicher Körperverletzung sowie der schweren Gefährdung durch Freisetzen von Giften abgelehnt. Die Kammer argumentierte bei der Zurückweisung der Klage mit dem Fehlen eines hinreichenden Tatverdachts. Hat die Staatsanwaltschaft bei ihrer Anklageschrift geschlampt?

Christoph Kremer: Das Landgericht begründete seine Auffassung damit, daß 70 Prozent der angeklagten 174 Körperverletzungsfälle verjährt seien, und daß bei den übrigen Fällen ein hinreichender Tatverdacht nicht bestehe. Es fehle die hinreichende Wahrscheinlichkeit für einen Ursachenzusammenhang zwischen den schweren Gesundheitsschädigungen einerseits und PCP, Lindan und Lösungsmitteln in Holzschutzmitteln andererseits. In diesem Zusammehang ist wesentlich, daß das Landgericht die Auffassung vertritt, daß immer dort, wo in der Wissenschaft unterschiedliche Meinungen existieren, der daraus entstehende Streit nicht im Rahmen einer gerichtlichen Hauptverhandlung entschieden werden könne; daß vielmehr von vornherein eine Hauptverhandlung nicht zu eröffnen sei.

Ist das nicht eine Selbstentmündigung des Gerichts?

Ja. Es ist skandalös, daß sich Gerichte ihrer ureigensten Funktion, nämlich der Kontrolle, immer da entziehen wollen, wo in der Wissenschaft unterschiedliche Auffassungen über die Gefährlichkeit von Giftstoffen existieren. Skandalös ist dies in diesem Falle zumal deshalb, weil das Landgericht sich in seinem Beschluß auf Wissenschaftler bezieht, mit denen sich die Staatsanwaltschaft in der Anklageschrift über zahlreiche Seiten auseinandersetzt. Die Staatsanwaltschaft wirft ihnen gewisse Interessenabhängigkeiten und Erkenntnissteuerungen durch die chemische Industrie vor.

Nicht mit einer einzigen Silbe hat das Landgericht sich mit der Frage befaßt, ob nicht finanzielle Abhängigkeiten und korruptive Verstrickungen eines Teils der Gutachterwelt zu interessengesteuerten Ergebnissen geführt haben.

Skandalös ist auch, daß die Kammer, die sich einerseits nicht mit den Gutachterverstrickungen befaßt, sich aber kritisch mit den Betroffenen, der Interessengemeinschaft der Holzschutzmittel-Geschädigten (IHG), auseinandersetzt.

In dem Beschluß heißt es: Zu berücksichtigen ist aber schon, daß die exponierten Personen zum Großteil von der IHG benannt und später in die Untersuchung der Staatsanwaltschaft einbezogen wurden.

Es sei deshalb fraglich, ob die Personen, die sich am Holzschutzmittel erkrankt fühlten, überhaupt unvoreingenommen die Frangen beantworten konnten. Das heißt also: Ohne daß das Gericht die Personen gesehen und befragt hat, geht es vorab und ungeprüft davon aus, daß der Zusammenschluß von Geschädigten ein Indiz für eine fehlende Seriösität darstellt.

Wird der Beschluß Auswirkungen auf anhängige Zivilverfahren haben?

Das muß man streng auseinanderhalten: In einem Strafprozeß gilt, daß wegen Körperverletzung derjenige nicht bestraft werden kann, dem man nicht mit absoluter Sicherheit nachweisen kann, daß der freigesetzte Giftstoff auch zu bestimmten Verletzungen geführt hat. Im Zivilprozeß ist dieser Beweisgrundsatz so nicht zwingend.

Der letztinstanzlich zuständige 6.Zivilsenat des Bundesgerichtshof hat in zahlreichen vergleichbaren Fällen mit Kausalitätsbeweislastumkehrungen gearbeitet. Nach der Regel: Je unseriöser das Verhalten des Produzenten, desto größer das Risiko für den Produzenten und Emittenten, daß er in einem Zivilprozeß einmal wird beweisen müssen, daß eine Schädigung nicht auf seine Giftstoffe zurückgeht.

In seinem Kupol-Ofen-Urteil von 1984 hat der BGH folgende Regel aufgestellt: Kann ein Emittent nicht beweisen, daß er die zulässigen Grenzwerte eingehalten hat, reicht es, wenn das Opfer den Nachweis führt, daß eine Schädigung möglicherweise auf die Emission zurückzuführen ist. Ich halte es für sehr gut möglich, daß der BGH einmal bei den Holzschutzmitteln die Beweislast in diesem Sinne umkehrt.

Die Etappenniederlage im Strafverfahren bleibt also ohne Folgen?

Die Niederlage hat eine psychologische Bedeutung für die Zivilprozesse, eine juristische aber nicht. Die Zivilgerichte müssen das tun, was das Landgericht Frankfurt ablehnte: in die Beweisaufnahme eintreten und selbst über die Beweislastumkehr entscheiden.

Interview: Michael Blum