Der Plan rächt sich ein letztes Mal

■ Eindücke von der Leipziger Messe / Auf den ersten Blick ist zu erkennen, welche Betriebe „es“ schaffen wollen und bei welchen es nicht gelingen wird

Aus Leipzig Dietmar Bartz

Der Kummer steht der Frau aus der Pressestelle ins Gesicht geschrieben. „Wir arbeiten alle auf 80 Prozent, in allen Bereichen, und keiner weiß, wie es weitergehen soll“, sagt sie leise. Den geplanten Umsatz ihres umgewandelten Kombinats für das zweite Halbjahr kennt sie nicht, über Strategien zur Umstrukturierung weiß sie auch nichts.

Von einst 6.000 Beschäftigten seien 4.500 noch da. Die Frau versucht, ihre Stimme fest klingen zu lassen. Sie jammert nicht, sondern macht einen durch und durch resignierten Eindruck.

Zwischendurch gibt sie sich einen professionellen Anstrich, verschwindet hinter der Tür mit dem neuen Schildchen „Public Relations“ und holt einen fotokopierten, schreibmaschine -getippten Prospekt. Dann geht sie den kompetenten Gesprächspartner suchen. „Der ist Papier holen“, sagt eine Kollegin gut hörbar. „Herr F. ist in Verhandlungen“, entschuldigt sich die Pressefrau bei ihrer Rückkehr.

Grausam. Zur Schau gestellte Agonie. Der Plan rächt sich zum letzten Mal an denen, die ihn immer brav erfüllt haben, und diese Rache ist öffentlich: Einige Kombinate und VEBs, inzwischen allesamt in Aktiengesellschaften und GmbHs umgewandelt, haben ihre eigenen Pavillons auf dem Messegelände, und gnadenlos wurden sie auch jetzt noch einmal voll belegt.

Wieso auch nicht? Geplant ist geplant, vielleicht ist ja doch noch ein überraschender Auftrag drin. Aber die Phase kurz vor dem Zusammenbruch wird dadurch um so sichtbarer. Kaum jemand interessiert sich noch für die Produkte, und es hat den Anschein, daß die kundigen FachbesucherInnen sehr genau wissen, welche Firmen vom Vorstand, von der Belegschaft und der Treuhand bereits aufgegeben wurden.

Nur ostdeutsch-russische Männerfreundschaften werden in milchverglasten Sitzungszimmern lautstark bekräftigt.

Mehrere der neuen DDR-Firmen haben ihre Teilnahme kurzfristig ganz abgesagt. So ist das Elektro-Apparate-Werk Treptow, obwohl im Katalog noch mit munterer Reklame vertreten, nicht mehr aufzufinden. Die zahlreichen Außenhandelsbetriebe fehlen oder sind auf ein, zwei belegte Zimmerchen zusammengeschrumpft. Beim Pavillon eines staatlichen Importeurs von elektrotechnischen Produkten sind noch nicht einmal die Fenster geputzt.

Im Ausstellungsraum des Bau- und Gießereimaschinenkombinats Baukema ist es still. Kein einziger Besucher betrachtet die Modelle der Betonaufbereitungsanlagen und Walzen oder der Gießvorrichtungen für die Plattenbauweise.

Eine der renommiertesten GmbHs, der Universalbagger -Hersteller Nobas, ist soeben noch in den Westen verkauft worden - vorbehaltlich der Zustimmung der Treuhand. Größter Nobas-Handelspartner ist die Sowjetunion. Der Bagger UB 1233 -1 ist auch bei minus 40 Grad einsatzfähig. Der Rest des Kombinats steht vermutlich vor der Pleite. Aber auch hier weiß man nichts Genaues.

Auf den ersten Blick ist in Liepzig zu erkennen, wer von den DDR-Betrieben „es“ schaffen will. Takraf etwa verfügt über ein klotziges kleines Palais aus Stahl, Beton und Glas, das so auch in Hannover stehen könnte.

Allesamt sind die DDR-AGs, die eine Zukunft sehen, von Agenturen aus dem Westen gestylt worden. Klare Farben, einheitlich auch Briefbögen, Hochglanzprospekte überall auf den neuen Messeständen - aussagekräftig ist das alles zwar nicht, aber es gibt Signale ab. Millionen müssen im letzten halben Jahr an die West-Werber geflossen sein.

Ein zeitgemäßes Outfit hat sich sogar der Textilmaschinenkonzern Textima zugelegt, der finanziell mit dem Rücken zur Wand steht. Von Ostexporten abhängig, ist noch ganz unklar, ob die Sowjetunion und die anderen Ex-RGW -Länder nach dem 31.Dezember in transferabler Währung zahlen können.

Zwar wird bei vielen von der SU abhängigen Betrieben gemunkelt, daß auch im nächsten Jahr noch die „Clearing -Rubel“ von den Banken in DM gewechselt werden können, aber man will es nicht mit der Noch-Regierung verderben und jetzt schon öffentlich von Geschäften reden, die im nächsten Jahr subventioniert werden müßten.

Einstweilen wurden die verdienten älteren Frauen am „Empfang“ gegen junge Frauen an der „Rezeption“ ausgetauscht. Das lärmige, selbstgefällige Auftreten westdeutscher Verkäufer oder die kühle Entschiedenheit der BRD-Manager haben ihre Ostkollegen allerdings nicht drauf. Bei den neuen - und oftmals alten - DDR-Leitenden der zweiten Ebene, aber auch beim Stand-Personal selbst scheinen Überzeugungsarbeit, Auftreten und persönliche Integrität noch häufig zueinanderzugehören. Die Anstrengungen der neuen Zeit sind ihnen allesamt anzumerken. Am einfachsten haben es noch die Unterhändler für den RGW-Absatz, die wenigstens noch ihre alten Gesprächspartner haben.

Der Verkaufsleiter einer GmbH im Mecklenburgischen gehört zu den ganz wenigen älteren Angestellten, die nicht nur entschuldigend lächeln, wenn sie von den Verhandlungen der alten Zeit berichten. Plötzlich grinst er, als er von der „Belehrung“ erzählt, die früher morgens und abends abgehalten wurde, oder von den Formularen, auf denen jedes Detail der Verhandlungen mit West-Partnern einzutragen war inklusive der politischen Bewertung des Gegenübers. Dabei unterscheidet sich das alte östliche Formularwesen in der Sache nicht vom modernen westlichen. Nur das Papier ist jetzt besser, und bei der Bewertung kommt es jetzt auf die kommerzielle Bonität an.

Vor allem aber, und da sorgt die Erinnerung noch einmal für Zorn, gebe es jetzt die Leute vom Außenhandel nicht mehr, die früher die West-Kundschaft für die Preisverhandlungen abgeschleppt haben, nachdem sie sich bei den Herstellern von der Qualität überzeugt haben.

Und: Die Auskunftsfreude ist wieder geringer geworden bei den DDR-Managern. Hatte früher das alte System für Verschwiegenheit in ökonomischen Belangen gesorgt, sind es jetzt die Schulungskurse der Konkurrenzwirtschaft, die die zwischenzeitliche Transparenz beenden. Gab es noch auf der Frühjahrsmesse in Punkto Information kein Halten, ist der Glasnost jetzt einer neuen Spärlichkeit gewichen.

Allerdings nur dort, wo Hoffnung herrscht oder verbreitet werden soll. Wo es ganz vorbei ist, bestimmt das Ausweichen die Gespräche. Die Resignation nicht zu sehr öffentlich werden zu lassen, ist die letzte Anstrengung, um den Schein zu wahren.