: Vorwärts zur zweiten Etappe!
■ Russische Kommunisten beraten über ein neues Aktionsprogramm / Es gibt eine Partei, aber keine Mitglieder / Erster Sekretär Poloskow sagt Kampf an / Siebzig Jahre und kein bißchen weise
Aus Moskau K.H. Donath
„Aufgabe Nummer eins ist die Überwindung der schwierigen Barriere zwischen Wort und Tat“, meint Professor Iwan Ossadschki, Leiter des Vorbereitungskomitees des Ersten außerordentlichen Kongresses der Russischen Kommunistischen Partei (RKP). Für Professor Ossadschki erhebt sich daher am Vorabend des Konvents die „klassische“ Frage: „Was tun?“ Der Parteitag wird von einem Paradox begleitet. Die RKP verfügt bereits über ein 153 Mann starkes Zentralkomitee und einen Ersten Sekretär, den vormaligen Gebietschef von Krasnodar in Südrußland, Iwan Poloskow, aber ihr fehlen die einfachen Mitglieder. Anfang des Jahres hatten Aktivisten der KPdSU aus konservativen Parteikreisen in Leningrad ein Initiativkomitee zur Wiedergründung der Russischen Kommunistischen Partei ins Leben gerufen, die 1925 unter Stalin liquidiert worden war. Sie paukten den Gründungskongreß noch vor dem XXVIII. Parteitag der KPdSU durch. Und - einmalig in der Geschichte des sowjetischen Parteikommunismus -, die große Mehrheit der Delegierten rekrutierte sich aus dem Parteiapparat. Nun sitzen sie wieder zusammen und mogeln sich um die Frage herum, wen sie da eigentlich vertreten. Geht es nach der neuen Parteispitze, so sollten alle Mitglieder der KPdSU, die auf dem Territorium der RSFSR leben, das sind immerhin über 60 Prozent aller eingeschriebenen Kommunisten, automatisch Genossen der RKP werden. Aber dieser Automatismus wird nicht funktionieren, denn außer orthodoxen Sprüchen hat dieses Gremium nichts anzubieten.
Um der Partei den Rücken zu kehren, reichte für viele schon die Wahl Poloskows. Dieser kleine dicke Wicht verkörpert den Apparatschik par excellence. Mit seinen Ressentiments und seiner exzessiven Sündenbockphilosophie, die sich vornehmlich gegen Kooperativen und die liberale Presse wenden, rührt er in Zeiten der Krise an das „gesunde Volksempfinden“. Die Wahl Poloskows, meinte der stellvertretende Vorsitzende des Moskauer Stadtsowjets Sergej Stankewitsch, habe aber auch für Läuterung und Klarheit gesorgt. Wäre jemand anders gewählt worden, hätten die Menschen womöglich noch Illusionen über das Profil dieser Partei gehegt...
Die Delegierten im Kreml-Palast müssen den Spagat aushalten zwischen dem traditionellen Avantgardedenken und den Vorgängen draußen im Lande. Im Aktionsprogramm spricht man sich zwar in Einklang mit der Plattform des XXVIII. Parteitages der KPdSU für einen Übergang zum „regulierten Markt“ aus, fordert auch die gleichberechtigte Koexistenz verschiedener Eigentumsformen, wendet sich aber kategorisch gegen jegliche „Reanimation kapitalistischen Privateigentums“. Der Gegensatz zu den jüngst diskutierten Wirtschaftsprogrammen der Föderation und selbst der Unionsregierung läßt sich trotz aller klingelnden Rhetorik nicht übertönen. Von „aktiver Ausnutzung des Planungsmechanismus“, von der „Demokratisierung und Umwandlung der Arbeitskollektive auf der Grundlage selbverwalteter schöpferischer Pläne“ ist da die Rede, und trotz allen Bemühens sieht man doch die Risse in den Schläuchen. Die Vormachtstellung des Staates in der Ökonomie darf auf keinen Fall preisgegeben werden. Weder eine Freigabe der Preise noch einen legislativ abgesegneten Übergang zur Marktwirtschaft heißt das Programm gut. Darüber möchte die Partei ein landesweites Referendum abhalten. Überhaupt nicht zupaß kommt ihr die Forderung nach Trennung legislativer Funktionen in den Sowjets und Tätigkeit in den regionalen Exekutivkomitees und natürlich wehrt sie sich gegen den vielerorts eingeklagten Rückzug der Partei aus Armee, KGB und anderen staatlichen Institutionen. „Wir halten an der Idee und der Realisierung des Sozialismus fest und orientieren auf eine kommunistische Perspektive“, steht unter dem Punkt „Ideologie“ zu lesen und es ist schwer zu glauben, daß es noch einen unter den Delegierten gibt, der unter der „Perspektive“ mehr als sein derzeitiges Wohlergehen versteht.
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