Belagerung der Stasi-Zentrale

■ Besetzer erhielten gestern nachmittag breite Unterstützung / Bürgermeister Schwierzina solidarisierte sich mit den Bürgerrechtlern, Innenstadtrat Krüger schickte Obst vorbei / Journalisten wurden nicht in das Haus gelassen / Demonstration vor der Stasi-Zentrale bis in die frühen Abendstunden friedlich

Lichtenberg. Nachdem die Besetzer der ehemaligen Stasi -Zentrale in der Normannenstraße gegen 15 Uhr ihre Presseerklärung abgegeben hatten, bereiteten sie sich auf die um 17 Uhr stattfindende Demo vor. Genauso wie die Polizei, die im Innenhof der Zentrale, 100 Meter vor dem Eingang des besetzten Haus 7 einen Gitterzaun aufstellte und ihr Auftreten massiv verstärkte. Stämmige Genossen trugen Reisetaschen in dieselbe Etage, in der auch die Besetzer wohnen, um sich dort „nahkampfbereit“ zu machen. Schilder wurden angeschleppt, Knüppel bereitgelegt und Schutzhelme überprüft.

Die Besetzer, die mit Funkgeräten ständig mit der vor der Zentrale stehenden Mahnwache verbunden sind und so über alles informiert werden, was für sie nicht einsehbar draußen läuft, haben davor keine Angst. Eher daß die Provokationen von der Polizei selbst ausgehen: Innenminister Diestel hatte veranlaßt, daß der Leiter des Büros zur Auflösung des ehemaligen MfS, Eichborn, Strafanzeige gegen die Bürgerrechtler wegen Hausfriedensbruchs stellt. Über Funk kam inzwischen die Meldung, daß ein Streifenwagen und ein Mannschaftswagen der Vopo am Eingangstor vorbeigefahren war, aus denen in Richtung Mahnwache „Ihr roten Schweine“ und „Es lebe die NA“! geschrien wurde. Einer der Besetzer erinnerte sich an einen ähnlichen Vorfall einen Tag vorher, bei dem ein Vopo im Skin-Outfit die Bemerkung machte: „Einfach eine Kugel reinjagen.“

Gegen 16.45 Uhr stellte sich heraus, daß die Presse, entgegen der Abmachung, nicht mehr das Haus betreten konnte. Allgemeine Empörung richtete sich gegen den Objektverantwortlichen, der selbiges mitteilte und die Abmachung vom Vortag mit der Bemerkung wegwischen wollte: „Gestern war gestern, heute ist heute.“ Der Ton kam vielen sehr bekannt vor, und auf drängendes Nachfragen gab er zu, daß das auf Anweisung des Innenministeriums geschehen wäre. Um 17.40 Uhr kam Aufregung in die schmalen Gänge. Ein Kripobeamter forderte den inzwischen auch erschienenen Mitarbeiter von Walter Momper, Ralf Hirsch, auf - er hat den Besetzern 10.000 DM von seinem 'Bild'-Schmerzensgeld gespendet - etwas zu tun, um die Stimmung, die angeblich eskalieren würde, durch Zureden eines der Besetzer zu beruhigen. Aber was er als bedrohlich empfand, war nur der Ruf aus einigen Demonstrantenkehlen: „Tor auf, Tor auf!“. Hirsch ging trotzdem raus, um die Lage aktuell zu erkunden. Von den Besetzern konnte das keiner tun: sie wären dann nicht wieder hineingelassen worden.

Draußen stand inzwischen Wolf Biermann und begehrte Einlaß. Gedränge, als ihm das erst verweigert wurde. Dann durfte er trotzdem passieren. „Hysterisch“ nannte er zwar die Angst vor einem Zugriff des BNDs auf die Stasi-Akten, wollte aber trotzdem seine Solidarität den Besetzern aussprechen. Nach kurzem Gespräch öffnete sich die Polizeikette für ihn. Innenstadtrat Krüger hatte am Morgen schon Lebensmittel mitgebracht und Bürgermeister Schwierzina seine Unterstützung zugesagt. Draußen bauten Demonstranten ein Armeezelt auf, um die ganze Nacht vor dem Tor auszuharren.

Torsten Preuß