piwik no script img

„Das Gefühl der Einheit ist da“

■ Während der ersten Begegnung der Regierungschefs aus Nord- und Südkorea diskutieren die Seouler Sinn der nationalen Einheit / Südkoreas Präsident Roh läßt sich als asiatischer Helmut Kohl feiern

Aus Seoul Georg Blume

Der 24jährige Architekturstudent Hoon Moon sieht von seiner Zeichnung auf, die eines der unzähligen neuen Apartement -Häuser von Seoul zeigen soll. Wie gewöhnlich läuft der Fernseher. Plötzlich erkennt Hoon Moon die Bilder auf dem Bildschirm. Es ist seine Nachbarschaft, und die Bürgersteige sind voller Menschen. Hoon Moon begreift schnell. Wie im Traum läuft er auf die Straße.

Hoon Moon winkt nicht, als er die erste hochrangige politische Delegation Nordkoreas, die je Seoul besuchte, in schwarzen Limousinen vorbeirauschen sieht. Im Geiste aber ist er dabei. „Das Gefühl sagt mit, daß die Vereinigung eines Tages stattfinden kann. Alle Koreaner kennen unser Volkslied für die Vereinigung, alle Koreaner sind hier gefühlsmäßig verstrickt. Auf unseren Schultern ruht keine Nazi-Vergangenheit. Uns umgeben nur die Großen; Japan, China und die Sowjetunion. Wir sind klein, deswegen müssen wir zusammen stark sein.“ Hoon Moon spricht hastig, und er gibt das Gelöbnis einer Generation - jener Studenten, die vor drei Jahren die Demokratiebewegung in Gang setzten, und die dann, immer noch unter Tränengas, das verbotene Vereinigungsthema als erste auf die Straße trugen.

„Studenten machen keine Politik“. Kim Yankoo lächelt. Der alte Zeitungsherausgeber und Schriftsteller hat zu viele Diktaturen überlebt, als daß er der Politik noch Glauben schenken könnte. Er hebt die Hand, als er eines dieser neuen, schicken koreanischen Autos über die Brücke des großen Hangang-Flusses steuert, und deutet auf das Hilton Hotel am gegenüberliegenden Ufer. Dort findet zur selben Stunde das erste offizielle Staatsbankett zwischen Nord- und Südkoreanern seit 1945 statt. Doch Yankoo kümmert das wenig: „Die da festlich speisen, sind alles Leute aus dem Norden. Auch unser Premierminister kommt ursprünglich aus dem Norden. Ich aber bin in Seoul geboren, meine Familie wohnt in Seoul, und auch ich habe immer hier gelebt. Was geht mich da das ganze Gerede um die Vereinigung an?“

Kim Yankoo ist von der Art, die auch in Deutschland Seltenheit hat. Er ist ein Spielverderber im Einheitsrummel, der nun auch - probeweise - in Südkorea stattfindet. Ein Medienwirbel ohnegleichen begleitet das historische Treffen der beiden Premierminister in Seoul. Die langerwartete Begegnung hat zumindest im Süden des geteilten Landes die größten Erwartungen geweckt. Auch wenn die Südkoreaner ihrer Regierung derzeit noch so wenig Vetrauen schenken, so hoffen dennoch die meisten auf den Beginn des bislang unmöglichen Dialogs.

Verheißungsvoll war der Auftakt allerdings nicht. Kang Young Hun, Regierungschef Süd, und Yon Hyong Muk, Regierungschef Nord, wiederholten gestern zum Verhandlungsbeginn lediglich ihre unvereinbaren Grundsatzpositionen. Der erste will die Anerkennung zweier unabhängiger Staaten, der zweite eine „koreanische Konföderation“. Niemand hatte anderes erwartet. Und dennoch wollen selbst die kritischsten Beobachter ihren Optimismus nicht ganz beiseite legen. „Der Kontext hat sich geändert,“ sagt Chang Yun Hwan, Leitartikelverfasser des wichtigsten Oppositionsblattes „Han-Kyoreh Shinmun“. Er hofft, daß der fehlende Rückhalt aus der Sowjetunion und China die Nordkoreaner zum Einlenken zwingt. „Wichtig ist jetzt schon, daß uns der Dialog erhalten bleibt,“ meint Chang. Er ist ein Erzfeind der südkoreanischen Regierung und schlägt doch in diesen Tagen moderate Töne an.

„Wir beneiden Euch um Eure Wiedervereinigung!“ Ob Busfahrer, Regierungsbeamter oder Universitätsgelehrter, alle empfangen den deutschen Gast mit dem gleichen Ausruf. Und alle hegen offenbar die gleiche Angst: „Wir sind sie letzten auf der Welt, die in einem geteilten Land leben.“ Der freundliche Busfahrer, der diesen Satz im Selbstmitleid dahinsagt, kennt wohl weder das Schicksal Zyperns oder des Libanons, aber er teilt mit vielen Intellektuellen im Land die große Sorge, daß Korea der Weltgeschichte hinterherhinkt. Kim Yangkoo, der Schriftsteller, hat ähnliches im Sinn, wenn er sein Desinteresse an der Vereinigungsdebatte bekundet, nachdem der Ideologienstreit bereits auf der Weltbühne beendet ist. Nun erscheint die koreanische Teilung widersinniger denn je. Gleichzeitig aber droht sich der politische Patt auf der Halbinsel zu verewigen, von dem nicht nur die Diktatur in Pjongjang, sondern auch die herrschende Clique um Präsident Roh Tae Woo in Seoul profitiert.

Gibt es noch einen rettenden Ausweg? Weil selbst die glänzendsten Denker des Landes, zu denen Kim Yankoo und Chang Yun Hwan zweifellos zählen, keine eindeutige Antwort mehr wissen, wird vielleicht in keinem zweiten Land der Welt derzeit soviel und intensiv über Deutschland geredet wie in Südkorea. Franzosen und Polen interessiert die deutsche Machtpolitik; die Koreaner aber interessiert das neue Modell Deutschland und vor allem der Weg, den die beiden Teile zur Vereinigung zurückgelegt haben. Schon läßt sich Präsident Roh - bisher zu unrecht - als asiatischer Helmut Kohl preisen. Schon errechnen Forschungsinstitute in Seoul nach deutschem Vorbild die Kosten einer völlig hypothetischen koreanischen Einheit. Und an den Universitäten stehen zum Semesterbeginn in der nächsten Woche umfangreiche Veranstaltungen zur deutschen Einheit auf dem Programm.

Nur wenige erinnern sich, wie eng das Schicksal Deutschlands und Koreas einst verbunden war: der Koreakrieg 1950 räumte alle damals zahlreich vorhandenen europäischen Einwände gegen die West-Integration der Bundesrepublik mit einem Schlag aus. Welche Auswirkungen wird nun umgekehrt die deutsche Einheit auf Korea haben? „Die deutsche Einheit hat die DDR ausradiert,“ meint Chang Yun Hwan von der „Han -Kyoreh Shinmun“. „Diese historische Erfahrung versperrt uns heute möglicherweise eine eigenständige “ Nordpolitik im Sinne Willy Brandts, denn die Nordkoreaner müssen nun auch davor Angst haben.“

Doch der Architekturstudent Hoon Moon hält dagegen: „Deutschland hat es geschafft, dann können wir es auch schaffen. Unsere Wirtschaft ist stark genug. Wir müssen nur großzügig sein.“

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen