100 Million Dollars - „more or less“

■ Ob Krise am Golf oder Gemetzel in Liberia: Die Waffenschieber vom Genfer See sahnen ab / Querverbindungen führen auch zu Schalck-Golodkowskis Imperium / Der Waffenhändler und mutmaßliche Terroristen-Ausstatter Francesco Paesa operiert gar unter dem Schutzmäntelchen eines UNO-Diplomaten

Von Thomas Scheuer

Dieses Wässerchen kann nichts trüben. In türkisgrünen Wellen plätschert es an die Uferpromenade, an der entlang verschleierte Kindermädchen die Sprößlinge der besser betuchten UNO- und OPEC-Funktionäre schieben. Im Weltdorf Genf verfolgt einen der Frieden auf Schritt und Tritt: In der Avenue de la Paix, im Cafe de la Paix, im Hotel de la Paix, bei den Assurances Pax. Fast unwirklich, wie Zeichen von einem anderen Planeten, wirken da die Schlagzeilen an den Zeitungskiosken von den fernen Kriegen dieser Welt. Dabei sitzen sie gerade hier an den idyllischen Gestaden des Genfer Sees zahlreicher als anderswo, die Schieber und Schummler, die Waffenhändler und Hightech-Söldner, die als Kriegsgewinnler am Gemetzel in Liberia ebenso wie am Säbelrasseln am Golf profitieren.

Handel mit Waffen

wie mit Gemüse

Im dritten Stock eines unscheinbaren Bürohauses an der Ecke Rue Voltaire /Rue de Malatrex etwa wirkt der deutsche Geschäftsmann Heinz Pollmann. Als junger SS-Soldat setzte sich Pollmann nach 1945 wie viele der alten Kameraden nach Franco-Spanien ab. Madrid, wo er offiziell wohnt, ist noch heute Pollmanns wichtigste Operationsbasis - neben Genf. Hier leitet er als Direktor die Geschäfte einer harmlos klingenden Verwaltungs- und Finanzierungsgesellschaft AG, kurz VuFAG. Werfen wir also, zeitlich etwa um acht Monate zurückversetzt, dem weißhaarigen Herrn mal bei seinem Alltagsgeschäft einen Blick über die Schulter.

Pollmanns Kapital sind seine weltweiten Connections, seine wichtigsten Werkzeuge Telefon und Fax-Gerät. Aus letzterem spulen non-stop Anfragen und Angebote aus aller Welt. Mal geht es um Helikopter oder Elektronik - darf es was Sowjetisches sein? - mal um ordinären Schießkram, Minen und Granaten. Zwischendurch werden mit Öl aus Nahost, Immobilien in Paris oder harmlosen Chemikalien aus dem Ostblock ein paar schnelle Dollars gemacht: Pollmann makelt Kriegsmaterial wie andere Leute Gemüse. Die Kunden warten mal in Westafrika, mal in Zentralamerika auf die Ware und werden bei besonders brisanten Geschäften auch mal vorsichtig mit „unsere gemeinsamen Freunde“ umschrieben.

Ein besonders heißes Eisen scheint Pollmann im Irak im Feuer zu haben. Zwischen seiner VuFAG in Genf und einer Firma Promex in München fliegen die Telefax-Briefe nur so hin und her. Das Geschäft soll über Banken in London und Madrid abgewickelt werden. Umfang des Deals „100 Million Dollars - more or less“, heißt es in einem Schreiben. More or less - bei solchen Summen kommt es auf ein paar Tausender nicht an. Der Empfänger der Ware sitzt offenbar im Irak; denn als Sicherheit verfügen Pollmann & Freunde über einen „letter of credit“ der Central Bank of Iraq. Mit dem aber ist, „aus einleuchtenden Gründen“, wie es in einem Schreiben heißt, schlecht zu operieren, da er ja das Empfängerland verraten würde. Also müssen Mittelsmänner und „eine Vetrauensbank in Genf“ zwischengeschaltet werden.

Aus dem Lehrbuch

einer Schieberkette

Wir erhalten Einblick in den Aufbau einer Schieberkette. Solche Ketten im Waffen- oder Hightech-Schmuggel bestehen nicht selten aus zwei Dutzend Mittelsmännern und Briefkastenfirmen. Ziel der Fädelei: Der Lieferant soll nichts vom Empfänger erfahren - oder umgekehrt -, der Transportweg verschleiert werden. In unserem Lehrbuch-Fall ist das nächste Kettenglied nach der Münchner Promex und einer weiteren Station in Spanien die Firma Sitico eines Herrn Hassan Ibrahim in Minneapolis/USA. Offenbar versucht Herr Ibrahim, US-Technologie in den Irak zu verschieben; natürlich darf er das Kundenland Irak seinen Lieferanten nicht preisgeben. Daher der Umweg über Deutschland.

Eine Firma Sitico ist selbst von einem altgedienten Lokalreporter der örtlichen Zeitung in Minneapolis nicht zu finden. Herr Werner Erhard wiederum benutzt im Fax-Verkehr mit Pollmanns VuFAG den Briefkopf der Promex eigentlich illegal, denn diese Firma wurde schon vor über vier Jahren von Amts wegen gelöscht. Woran also dröseln Pollmann, Erhard, Ibrahim und die anderen?

Der amerikanische Nahost-Experte Kenneth R. Timmermann behauptet in seinem Branchen-Dienst „Middle East Defense News“, der VuFAG-Clan habe die Nachfolge der sogenannten Consen-Gruppe angetreten. Die Consen-Gruppe, ein weitverzweigtes Geflecht aus rund 20 schweizer, österreichischen und bayrischen Firmen mit Hauptquartier in der schweizerischen Steuer-Oase Zug, hatten ehemalige Techniker des Münchner Luft- und Raumfahrt-Konzerns MBB Anfang der 80er Jahre aufgezogen, um westdeutsche Raketen -Technologie in den Irak zu schleusen. Im Frühjahr 1988 flog der Deal auf. Gegen einige Beteiligte der Consen-Gruppe und der MBB laufen seither Ermittlungsverfahren.

Ist die VuFAG in diese Lücke gesprungen? Heinz Pollmann selbst erklärt gegenüber der taz, bei seinen Irak-Geschäften gehe es um Öl. Werner Erhard mag der taz gleich gar nichts erklären, sondern legt ungehalten wieder auf. Die Münchner Zollfahnder, die sich für seine Geschäfte neuerdings auch zu interessieren scheinen, wird er auf diese Art wohl nicht los werden.

Über Waffen spricht Pollmann nicht so gerne

Bei einem anderen Geschäft Pollmanns ist der Charakter der Waren offenkundig: Kalaschnikow-Gewehre, Panzerfäuste, Granaten und Sprengstoff stehen auf den „packing lists“ für insgesamt drei Flugzeug-Ladungen, die Pollmann um die Jahreswende nach Sofia/Bulgarien kabelte und die später der taz samt weiterer Geschäftskorrespondenz zugespielt wurden. Nach Angaben eines Brancheninsiders in Paris landete der aufgeführte Schießkram in Liberia. Zeitlich kommt das hin, die Papiere datieren vom November 1989, im Dezember begann in Liberia der Bürgerkrieg. Das fürchterliche Gemetzel dauert bis heute an.

Pollmanns Ost-Kontakte sind ein bemerkenswertes Kapitel. Sein Genfer Büro fungiert als eine jene Drehscheiben im Westen, mittels derer die Funktionäre östlicher Staatshandelsunternehmen seit Jahren über alle ideologischen Fronten hinweg Kriegsmaterial in die Dritte Welt verscheuerten. Einen guten Draht hat Pollmann etwa zu Iwan Damianow, dem Direktor der bulgarischen Staatsfirma Kintex. Bestellungen aus Genf gehen grundsätzlich an den Chef persönlich. Hin und wieder trifft sich Heinz mit „Dear Iwan“ im neutralen Wien.

Westliche Fahnder schmunzeln nur, wenn man sie auf die Firma Kintex anspricht. Sie gilt als einer der ganz zentralen Umschlagplätze im internationalen Waffenhandel, taucht aber auch in diversen Gerichtsakten als Relaisstation für den Zigaretten-Schmuggel und als Waschmaschine für Drogen-Dollars auf, die über die sogenannte Balkanroute via Sofia nach Westeuropa geschleust werden.

Über Waffen spricht Heinz Pollmann nicht gerne. Seine Irak -Verbindungen etwa führt er der taz gegenüber auf Petroleumgeschäfte zurück, die zudem nie zustande gekommen seien. Tatsächlich handelt Pollmann auch mit Öl, Immobilien und harmlosen Chemikalien. Doch allein dazu bräuchte er nicht jene Lizenz für den Handel mit Kriegsmaterial, die ihm die Schweizer Regierung 1980 erteilte. Bern scheint Pollmanns Treiben wohlwollend zu dulden: Als 1986 die Pia-Vesta-Affäre (siehe weiter unten) für Schlagzeilen sorgte, ließ sich der damalige VuFAG -Rechtsanwalt Peter Weisser von den Behörden versichern, daß Schweizer Paragraphen nicht tangiert seien. Er habe damals sogar, behauptet Weisser jedenfalls im Gespräch mit der taz, zwecks Beratung „Spitzen der Armee hinzugezogen“. Für Vermittlungsgeschäfte mit todbringendem Kriegsmaterial bieten die laschen Gesetze und das hochentwickelte Finanzsystem der Schweiz ideale Bedingungen. Die Waffen dürfen nur das saubere Ländchen selbst nicht berühren. Ein Gesetzesdefizit, das erst allmählich in die öffentliche Diskussion gerät. Genfer Beamte interessieren sich bislang jedenfalls nur für Pollmanns ungenauen Steuerangaben über dessen Geschäfte.

Im Waffen-Referat des westdeutschen Bundeskriminalamtes in Wiesbaden „ist der Name Pollmann bekannt“, bestätigt ein BKA -Mann der taz. Offiziell taucht sein Name aber nur im Überprüfungsvorgang einer Staatsanwaltschaft gegen einen anderen Händler auf.

Schalck-Golodkowski

und Irangate

Daß Heinz Pollmann auch mit dem zerbröckelten Imperium des berüchtigten DDR-Waffen- und Devisenschiebers Alexander Schalck-Golodkowski geschäftete, ist seit der Pia-Vesta -Affäre im Jahre 1986 aktenkundig. Der dänische Frachter Pia Vesta stach im Mai jenes Jahres vom DDR-Hafen Rostock in See. Die Ladung bestand aus 1.500 Kalaschnikow-Gewehren AK -47, 32 Militär-Lastwagen und 1.440 Panzerabwehr-Geschossen. In Panama wurde der Kahn aufgebracht.

Lange Zeit galt der aufgeflogene Pia-Vesta-Deal als eine der zahlreichen IMES-Routineschiebereien in die Dritte Welt. In Wahrheit, so läßt sich aus mittlerweile freigegebenen US-Geheimakten rekonstruieren, schipperte der Dampfer unter der Flagge jenes Geheimzirkels im Weißen Haus um Oliver North und Richard Secord, der hinter dem Rücken des US-Kongresses die iranischen Mullahs mit Waffen belieferte und mit dem Gewinn die Contra-Rebellen in Nicaragua sponserte. Die finanziellen Fäden liefen bei einigen Genfer Firmen und Finanzjongleuren zusammen, die später in Kongreßberichten und Untersuchungen des Iran -Contra-Skandals auftauchten. Darunter auch ein alter Geschäftsfreund Pollmanns: Der französische Ex -Geheimdienstler und Waffenhändler Georges Starckmann, einer der fettesten Karpfen im Sumpf der Waffenschieber-Szene. Auch er bevorzugt das Klima des Genfer Sees.

Schieberpapst

Georges Starckmann

Das Domizil für seine beiden Genfer Firmen Erkis SA und Star -Productions SA scheint Georges Starckmann mit Bedacht gewählt zu haben: Im Erdgeschoß der Genfer Rue du Cendrier 22 A befindet sich ein Kino. Als Firmenzweck der Star -Productions sind im Handelsregister nämlich „Herstellung und Vertrieb von Filmen, Videos, Kassetten und Schallplatten“ eingetragen. Von den einzigen Tonträgern aus Starckmanns Produktion, die jemals öffentlich zur Aufführung gelangten, tönt es recht kriegerisch: Einer französischen Radiostation, die auch über die Grenze nach Genf sendet, spielten im Frühjahr 1988 anonyme Absender insgesamt 60 Stunden mitgeschnittene Telefongespräche aus den Monaten September 1987 bis Januar 1988 zu - ein einzigartiges Live -Hörspiel aus den Kulissen des internationalen Waffenhandels. Demzufolge muß Starckmanns Genfer Büro während des Golfkrieges für die Waffeneinkäufer Teherans eine wichtige Station bei deren Shopping-Tours durch Europa gewesen sein.

Fast täglich konferierte der Genfer Schieberpapst mit Personen, die mittlerweile als Schlüsselfiguren des Iran -Contra-Skandals bekannt wurden, etwa dem in Miami ansässigen Waffendealer David Duncan. Tom Clines, Ex-CIA -Mann und einer der Organisatoren der illegalen Waffenlieferungen an die Contra-Rebellen in Nicaragua, schrieb schon im März 1986 in einem geheimen Memorandum an Oliver North, daß Starckmann „in die Beschaffung und den Transport von Waffen und Flugzeugen für die FDN involviert“ sei.

Im erwähnten Kino in der Rue du Cendrier 22 A in Genf läuft zur Zeit übrigens der Film „Loose Cannons“ (etwa mit „locker sitzende Knarren“ übersetzbar). Dieser Streifen könnte tatsächlich aus Starckmanns Produktion stammen.

Zu den bisher ungeklärten Kuriositäten in Starckmanns Iran -Contra-Geschäften gehört, daß er damals die Zahlungen an Schalck-Golodkowskis IMES für die Fracht der Pia Vesta über die Banco Arabe Espanol of Madrid abwickelte. Deren Boß ist Abdulla A. Saudi - der ehemalige Chef der libyschen Nationalbank in Tripolis. Das Geldinstitut, hinter dem offensichtlich arabisches Kapital steckt, taucht auch in anderen Geschäften der Starckmann-Pollmann-Clique auf. Dazu paßt eine alte Libyen-Connection Starckmanns: Der sorgte Mitte der 70er Jahre in Frankreich mit der Lieferung von teilweise echten, teilweise gefälschten Startrons (Nachtsichtgeräten) sowie Kanonen an die libysche Armee für Schlagzeilen. Der Deal lief damals über eine Firma Atlantico, die in Madrid in der Villanueva 29 zu finden ist. Im gleichen Gebäude, es liegt im alten Frankisten-Quartier der spanischen Hauptstadt, stoßen wir - was für ein Zufall auf den spanischen Ableger von Pollmanns Genfer VuFAG, nämlich die International Trade Consulting.

Der Waffendealer Paesa

wird UNO-Diplomat

In der Villanueva 29 schließt sich ein Kreis. Hier ging früher auch ein Herr ein und aus, der sich mittlerweile in Spanien nicht mehr blicken lassen darf: Der spanische Waffenschieber Francisco Paesa. Auf den erwähnten Tonbändern ist Paesas Rolle als Finanzmanager bei Starckmanns Waffengeschäften nicht zu überhören. Textprobe vom 11. Dezember 1987, Starckmann: „Sie sind bereit, die Hawks (amerikanische Boden-Luft-Raketen, d. Red.) mit Petroleum zu bezahlen.“ Paesa: „Einverstanden.“ Weil er Killerkommandos der rechts-terroristischen spanischen „Grupos Antiterroristas de Liberacion“ (GAL) mit Schießzeug versorgt haben und an der Ermordung von ETA-Leuten beteiligt sein soll, ermittelt Richter Baltasar Garzon wegen „Zusammenarbeit mit einer bewaffneten Bande“ gegen Paesa.

Seit 1988 besteht in Spanien ein Haftbefehl gegen Paesa, seit Frühjahr 1989 ist er weltweit über Interpol zur Fahndung ausgeschrieben. Dabei ist Paesa gar nicht schwer zu finden. Das spanische Magazin 'Cambio 16‘ titelte am 21. Mai: „Der am meisten gesuchte Spanier versteckt sich in Genf.“ Das stimmt nicht ganz. Verstecken muß sich Paesa nicht, geht er doch just dort offen und unbehelligt seinen Geschäften nach, von wo aus man den allerschönsten Ausblick auf den Genfer See und den dahinter leuchtenden Mont Blanc genießen kann, den diese Stadt zu bieten hat: Vom Palast der Nationen aus, dem europäischen Hauptquartier der UNO.

Dort verschafften alte Kameraden aus den Geheimdiensten Spaniens und Portugals ihrem Kumpan Paesa diplomatisches Asyl: Sie haben die Regierung von Sao Tome e Principe, einer ehemaligen portugiesischen Kolonie, dazu bewegt, Paesa im April dieses Jahres als Botschafter bei der UNO in Genf zu akkreditieren. Die Privilegien eines UNO-Diplomatenpasses samt Immunität schützen den Terroristen-Ausstatter vorläufig vor amtlichen Nachstellungen und Auslieferung. Zudem fördern sie die Geschäfte: Ruckzuck gründete Paesa in dem nur 120.000 Einwohner zählenden Inselstaat vor der Küste Westafrikas eine Bank und zwei Handelsgesellschaften. Vergebens drängt die spanische Justiz die Schweiz auf Auslieferung des Waffenhändlers.

Vertreter der spanischen Regierungspartei PSOE bedeuteten dem Genfer sozialdemokratischen Abgeordneten Jean Ziegler gleichzeitig durch die Blume, er möge den Skandal bitteschön nicht allzu sehr anheizen - Paesa habe Madrid in früheren Jahren gute Agentendienste geleistet und zu viel des Lichtes in dieser Affäre könnte auch für Felipe Gonzales‘ Regierung unbequem werden. Spaniens Justiz jedenfalls hat die Regierung von Sao Tome e Principe jetzt förmlich ersucht, Paesa den Diplomaten-Status wieder zu entziehen. Doch immer noch residiert dieser trockenen Fusses am Genfer See.

Recherchen: Jean Musy, Juan Gasparini, Thomas Scheuer und Monsieur R.