Ein Geschäft mit niedrigen Preisspannen

■ In Guben teilt die Neiße satten Reichtum und Drittweltatmosphäre / Im kleinen Grenzverkehr decken sich DDR-Bürger mit billigen Lebensmitteln und Benzin ein / Von einem Run kann jedoch keine Rede sein

Aus Guben Axel Kintzinger

Die Zahlen ließen aufhorchen. Mal war von 900.000 DDR -Bürgern die Rede, die pro Monat und ohne Visumszwang rübermachen in die polnische Nachbargegend, mal war von 25.000 zu hören, die zum Einkaufen täglich die Oder-Neiße -Grenze passieren. Nach Einführung der D-Mark in der DDR stauten sich Trabis und Wartburgs vor den Grenzübergängen in das östliche Nachbarland. Doch mittlerweile scheint Normalität eingekehrt zu sein. In Guben, polnisch Gubin, einer durch den Flußlauf der Neiße in DDR und Polen geteilten Stadt am südöstlichen Zipfel des neuen Landes Brandenburg, herrscht auch am Grenzübergang eine aufgeräumte Stimmung. Selten stauen sich mehr als ein Dutzend Autos und mehr als eine Handvoll Fußgänger vor dem direkt an der Neiße -Brücke gelegenen Übergang. Der Wartende blickt in die Hauptstraße der westlichen Stadthälfte, auf die Neon-Reklame westlicher Fotogeschäfte, die bunten Fähnchen westlicher Eisfirmen und das mittlerweile fest ins Erscheinungsbild der DDR eingewobene Markensignet eines bundesdeutschen Kaffeekonzerns. Alle Einkaufsstraßen in den Städten der Noch -DDR sehen heute so aus. Nicht so die andere Hälfte Gubens (das bis heute noch den Zusatznamen Wilhelm-Pieck-Stadt trägt), Gubin. Beim Gang über die Brücke fällt der Blick auf eine Kirchenruine und vereinzelte Pavillonbauten. Im Schatten des ehemaligen Gotteshauses tummeln sich auf den engen Wegen einer Parkanlage Hunderte zwischen provisorischen Verkaufsständen. Das Grün der Parkwiesen ist mit dicken blauen Flächen durchsetzt: Jeanshosen, Jeansröcke, Jeanswesten - in allen Größen und aus irgendeiner Billigproduktion stammend sind dort ausgebreitet. Auf Tapetentischen und auf Motorhauben, oft auch nur auf eine Plane gelegt.

Es ist das Bild eines ganz normalen Polenmarktes, wie ihn die Westberliner seit langem kennen und wie er auch in vielen anderen Städten in BRD und DDR zum Straßenbild gehört. Einziger Unterschied: Hier wird sowohl in Mark als auch in der polnischen Währung, mit Zloty, bezahlt. Die Waren - neben den Jeans bieten die fliegenden Händler auch Lederjacken, Unmengen von Muskikkassetten und Ghettoblaster aus fernöstlichen Billiglohnländern an - werden aber in Deutsch angepriesen. Doch die Zielgruppe, die meisten aus ihr kommen aus Guben, interessiert sich vorwiegend für die kleinsten Stände. Dort wird Butter angeboten - das halbe Pfund für eine Mark -, billiges Brot und Zigaretten für zwei Mark die Schachtel.

„Nur deswegen fahren DDRler mal kurz nach Polen“, erzählt ein junger Mann aus dem benachbarten Eisenhüttenstadt, „und, um sich das Auto vollzutanken.“ Gefüllte Kanister dürfen nicht zurück in die DDR gebracht werden. Nur für Butter, Brot und Zigaretten sowie für Benzin lohne sich der Weg über die Grenze. Andere Konsumartikel sind ohnehin Mangelware im bitterarmen Polen, selbst auf dem provisorischen Markt Gubins ist nur ein Stand mit fabrikneuen Fahrrädern zu finden. Der Händler gegenüber versucht, mit Geldwechseln ein Zusatzgeschäft zu machen. Sein Kurs weicht vom offiziellen jedoch nur leicht ab - für eine Mark gibt er 6.060 Zloty heraus.

Überhaupt scheint das Geschäft nur mit geringen Preisspannen gemacht zu werden. Rechnet man die Kosten für die Beschaffung von Kleidern und Billig-Elektroartikeln ab, bleibt den Verkäufern nicht viel. Damit befinden sie sich in einer ählichen Situation wie die vietnamesichen Händler, die seit Monaten allen möglichen Krempel auf den Straßen der DDR -Städte anbieten. Auch in Guben stehen sie, Walkmen und Regenschirme vor sich auf dem Tapetentisch, bis wenige Meter vor die Grenze. Die Tage ihres bescheidenen Verkaufserfolges sind ebenso gezählt wie die ihrer polnischen Kollegen auf der anderen Seite der Neiße. In der DDR wird das Versorgungsnetz immer dichter, so daß die Waren der Vietnamesen bald auch zu ähnlichen Preisen in den Geschäften zu haben sein werden. Und den Händlern auf dem Polenmarkt dürfte der Beitrittstag am 3. Oktober einen Strich durch die Rechnung machen. Sollte bis dahin keine entsprechende Regelung, etwa die über eine Art kleiner Grenzverkehr, geschaffen worden sein, benötigen auch die neuen Bundesbürger aus der dann ehemaligen DDR ein Visum für den Besuch in Polen. Und das kostet derzeit 40 Mark.

Unter diesen Bedingungen verliert auch das sündhaft billige Benzin und die zum halben Preis angebotene Butter an Attraktivität. Dann bleiben den polnischen Händlern nur noch ihre Landsleute als Kundschaft. Und die haben den Polenmarkt bereits für sich entdeckt. Nachdem der erste Ansturm der DDR -Bürger deutlich abgeflaut ist, wird nicht mehr nur hinter den Ständen, sondern auch auf den Wegen des Gubiner Parkes wieder mehr polnisch gesprochen.