1995 schon Finanzcrash der Länder?

■ Für fünf Jahre haben die BRD-Länder die Vereinigungkosten vom Hals

Hamburg (taz) - Als es feststand, daß der DDR-Anschluß per Einigungsvertrag vollzogen wird, knallten bei den bundesdeutschen Länderfinanzministern die Sektkorken. Sie sind lediglich mit einer Handvoll DM bei den Kosten der Einheit dabei. Bis 1995 wird das Finanzdesaster des Anschlusses auf Bundesebene und auf dem Rücken der DDR -Bevölkerung ausgebadet.

Das Glück der Westbundesländer begann mit der Schaffung eines Fonds „Deutsche Einheit“ in Höhe von 115 Milliarden Mark, den Bund und Westländer sich teilen. Billig und kalkulierbar ist dieser Fonds deshalb, weil seine lange Laufzeit (10 Jahre) und seine Kreditfinanzierung jährlich nur einen kleinen Bruchteil der Länderfinanzen ausmachen. Als in Bonn das ganze Ausmaß des DDR-Finanzbedarfs deutlich wurde, forderte der Bundesfinanzminister allerdings einen kräftigen Nachschlag. Der Fonds, so Waigel, hätte lediglich die Kosten der Währungsunion abdecken sollen. Jetzt werde der Preis der Einheit fällig.

Mit einem dezenten Hinweis auf den Grundgesetzartikel 107 brachte er die Länder sofort an den Verhandlungstisch. Denn darin wird ein „angemessener Ausgleich“ der „unterschiedlichen Finanzkraft der Länder“ vorgeschrieben. Bei der Umsatzsteuer, einer der wichtigsten Einnahmequellen der Länder, verlangt das Grundgesetz ausdrücklich eine Verteilung nach der jeweiligen Einwohnerzahl. Allein eine gerechte Verteilung der Umsatzsteuer hätte die Westbundesländer bis 1994 20 Milliarden Mark gekostet.

Angesichts dieser bedrohlichen Situation begannen alle SPD -Bundesländer, sich nach einem Einigungsvertrag zu sehnen. Denn: Jedes in einem Einigungsvertrag festgeschriebene Verfahren war besser als die unkalkulierbare Situation nach einem „wilden Anschluß“, bei dem die gesamtdeutsche Regierung die Finanzaufteilung hätte diktieren können. Zur Freude der Westländer zeigte sich das Bundesfinanzministerium generös. Bis 1995 soll es im Westen beim gegenwärtigen Zustand bleiben, danach tritt eine bis dahin zu erarbeitende Neuregelung in Kraft.

In Sachen Umsatzsteuerverteilung wurde schlicht getrickst: Ostdeutsche zählen 1991 nur 55 Prozent eines/r Westdeutschen, 1992 60, 1993 65 und 1994 70 Prozent. Damit drückten die Bundesländer ihre Belastung von 20 auf schlappe 6,4 Milliarden Mark. Etwas später geht es dann aber auch den Westländern an den Kragen. Vielleicht schon 1993: Dann wird die Bundesregierung die Umsatzsteueraufteilung zwischen Bundes- und Länderebene (bislang 65: 35 Prozent) zu ihren Gunsten verändern wollen. Spätestens 1995 droht das totale Desaster. Bei einer gerechten Aufteilung der Steuern zwischen den Ländern würden die Bundesländer insgesamt verarmen. Dem Föderalismus würde finanziell das Genick gebrochen.

Florian Marten