„Was denkt der Waldheim, bevor er einschläft?“

■ Der in Israel lebende Publizist Henryk M. Broder hat Anfang September in Wien mit dem österreichischen Bundespräsidenten Kurt Waldheim über dessen Selbstbild sowie über seinen Besuch bei Saddam Hussein gesprochen/ Waldheim: „Ich habe in meinem Leben sehr viel mitgemacht“

Henryk M. Broder: Sie haben einmal gesagt: „Ich bin nicht aus Holz“. Heißt das, daß Ihnen einige Sachen sehr nahe gehen?

Kurt Waldheim: Ja. Durchaus. Es geht mir nahe, weil ich eben nicht aus Holz bin und auch ein Lebewesen wie jeder andere, ein Mensch bin mit Sorgen, Freuden, Leiden, seelischen Leiden vor allem. Aber was mir noch viel mehr weh tut, wissen Sie, ist, wie die Familie drunter leidet, meine Frau, meine drei erwachsenen Kinder und die Enkelkinder, die in der Schule gefragt werden nach dem Großvater von den Schulkameraden, ob das stimmt, was da alles über ihn geschrieben wird, ob er wirklich ein Kriegsverbrecher war.

Wenn man so viele Schläge einsteckt, Prügel bezieht, tagtäglich, fragt man sich da nicht eines Tages: Wozu?

Wissen Sie, ich bin ein sehr gläubiger Mensch. Ich habe in meinem Leben, ich bin jetzt im 72sten Lebensjahr, sehr viel mitgemacht. 1918 geboren, die Mutter hat mir nachher erzählt, ich wußte nicht einmal, ob ich Dich am Leben erhalten kann. Dann aufgewachsen in sehr bescheidenen Verhältnissen, immer die Sorge, wie geht es weiter. Dann der Anschluß, die fristlose Entlassung meines Vaters durch die Nazis, mein Bruder und ich verprügelt, weil wir noch Pamphlete verteilt haben gegen den Anschluß.

Dann wurde ich einberufen zur Wehrmacht. Ich betone einberufen, ich bin dort nicht freiwillig hingegangen, gerade im Hinblick auf die Geschichte meiner Familie. Dann der Krieg, das tragische Erlebnis dieser ganzen furchtbaren Jahre. Und dann die Heimkehr, nicht wissend, wie es weitergehen wird.

Ich habe Glück gehabt, ich wurde im Außendienst aufgenommen, das war damals auch nicht sehr lustig. Wissen Sie, wir sind da mit Mänteln und bei Kerzenlicht gesessen. Ich war einer der ersten jüngeren Beamten, die da angefangen haben am Ballhausplatz. Die meisten meiner Kameraden sind ja schon tot. Aber das war damals auch eine harte Prüfung.

Es hat mir diese schwere Jugend und diese wirklich ernste Zeit meines Lebens, es hat mich vorbereitet für das, was später auf mich zugekommen ist.

Aber alles, was Sie da eben aufgezählt haben, wären nur noch lauter zusätzliche Gründe nach meinem Verständnis, sich einen ruhigen Lebensabend zu machen. Die harte Jugend, die harte Kindheit, der mühselige Berufsweg.

Ja, richtig, aber er hat mir auch sehr viel Genugtuung gegeben. Sie dürfen nicht vergessen, daß ich einen unerhört interessanten Lebensweg gegangen bin. Ich begann als Berufsdiplomat, bin dann Außenminister geworden, Generalsekretär der Vereinten Nationen und schließlich Präsident unseres Landes. Also sicherlich eine sehr interessante und befriedigende berufliche Laufbahn.

Und dann kommt noch ein zweiter Aspekt dazu, der der viel wichtigere ist. Schauen Sie, was immer jetzt in Zukunft geschieht in meinem weiteren Leben, ich will, daß dieses Image nicht angekleckst ist, ich will, daß dieses Image ein ordentliches ist im Interesse meiner Familie, im Interesse meines Landes und in meinem Interesse. Es kann mir nicht gleichgültig sein, wie man später über den Dr. Waldheim spricht und denkt.

Ich habe bei amerikanischen Freunden erwähnt, daß ich vermutlich Sie besuchen werde, und es sind zwei Wort gefallen „famous and notorious“, also berühmt und berüchtigt. Sehen Sie sich als eines der beiden, als beides zusammen im Sinne dieser berühmten deutschen Formulierung „berühmt-berüchtigt“?

Ich würde beides ablehnen. Berühmt — wenn man Generalsekretär der Vereinten Nationen durch zehn Jahre hindurch zweimal einstimmig gewählt war, so ist man deshalb noch nicht berühmt.

Das bezog sich auf die Zeit als Bundespräsident.

Das gilt auch für diese Jahre, wenn man diese Worte gebraucht, so offenbar durch die große Publizität, die mit meiner Präsidentschaft verbunden war, weil man Dinge in die Welt gesetzt hat, die einfach nicht wahr sind.

Schauen Sie, es haben sich internationale Kommissionen mit dieser meiner Vergangenheit befaßt, hauptsächlich deshalb, weil ich nicht irgendein Beamter in einem Ministerium war oder irgendein Berufskollege als Botschafter, sondern weil ich als UNO-Generalsekretär im Rampenlicht stand, dort dann und wann kontroversiell war, weil man nicht einverstanden war mit meinen Handlungen. Und deshalb hat man sich für mich interessiert, sonst hätte man sich auch für den österreichischen Bundespräsidenten nicht interessiert.

Ich habe mich oft gefragt: Was denkt der Waldheim kurz bevor er einschläft, was für ein Gedanke durchstreif seinen Kopf, eine Minute, bevor er einschläft, vor der Ruhe bis zum Morgen.

Wenn er einschlafen kann. Das kommt nicht immer vor, manchmal dauert es lange, bis ich endlich soweit bin einzuschlafen nach hektischen Tagen und hektischen Ereignissen meiner Tätigkeit. Ich kann es Ihnen schon sagen.

Sagen Sie es mir.

„Wird das nicht endlich aufhören?“ Aus einem Bewußtsein heraus, daß es doch unfaßbar ist, daß man dieselben falschen Behauptungen immer wieder wiederholt. Schauen Sie, es wurde wiederholt klargestellt, daß das nicht stimmt. Und wenn Sie das Radio dann und wann aufdrehen oder das Fernsehen oder aus irgendeinem Anlaß, nicht wahr, plötzlich wird das Alte wieder nachgekaut, als ob es die Ergebnise der Historikerkommission, die Ergebnisse dieses „Gerichtsverfahrens“ in London oder das Ergebnis der britische Regierungskommission über meine Relation zu den britischen Gefangenen überhaupt nicht gegeben hätte, als ob diese Untersuchungen überhaupt nicht stattgefunden hätten.

Es wird immer nur gesagt, der Kriegsverbrecher, der Nazi, nicht wahr, was alles nicht stimmt. Ich habe einmal gesagt, die, die mich angreifen, haben sich einfach das falsche Ziel ausgesucht. „You have chosen the wrong target“, habe ich in einem englischen Interview gesagt. Hätten sie nämlich wirklich einen Nazi gefunden, na selbstverständlich, auch ich habe unter ihnen zu leiden gehabt, vielleicht nicht so stark wie andere, ich war in der Wehrmacht.

„Wrong target“ hin oder her, sehen Sie sich deswegen als Opfer einer Intrige? Glauben Sie, daß diese Intrige einen Selbstlauf inzwischen angenommen hat, oder glauben Sie, daß sie irgendwie orchestriert wird?

Ich weiß es nicht, ich kann schwer hier ein apodiktisches Statement abgeben, weil ich es wirklich nicht weiß. Ich kann nur soviel sagen, daß es Gruppen gibt, die offenbar — das ist meine Interpretation — wegen meiner Tätigkeit bei den Vereinten Nationen hier diese Kampagne fortsetzen.

Ich wollte, ich sage es noch einmal, in die Causa Waldheim nicht einsteigen, aber da Sie die Vereinten Nationen erwähnen, Ihre Tätigkeit als Sekretär: Glauben Sie, es haben irgendwelche Leute oder Gruppen mit Ihnen alte Rechnungen zu begleichen gehabt und die Chance Ihrer Kandidatur in Österreich benutzt, diese alten Rechnungen wieder aufzutischen? Verstehe ich Sie da richtig?

Das kann schon der Fall sein.

Aber Sie würden diese Leute oder diese Gruppen nicht beim Namen nennen als politische Konstellation oder als Interessengruppen oder als Verbände oder was auch immer?

Ersparen Sie mir, hier Namen zu nennen. Sie kennen sie selber.

Nein, ich kenne sie eben nicht. Ich frage wirklich aus unschuldiger Neugier.

Schauen Sie, der Herr Singer hat erklärt, schon bevor ich gewählt wurde, wenn die Österreicher den Dr. Waldheim wählen, dann werden sie sechs Jahre Troubles haben. Ich überlasse es Ihrer Interpretation, wie Sie das auffassen mögen. Also es gibt da schon Hinweise darauf, daß eine gezielte Kampagne vorliegt.

Aber Sie sind nicht der Meinung, es handelt sich um eine Art jüdische Verschwörung?

Überhaupt nicht, sondern es ist eine konkrete Gruppe um Herrn Bronfman herum, zu der auch Herr Singer gehört. Ich habe sein Zitat, das ist ja aktenkundig, dieses Zitat. Und das gibt mir Anlaß zu sagen, bitte, wenn das schon vorher gesagt wird, wenn eine solche Drohung vorher ausgesprochen wird und dann tatsächlich eintritt, kann man sich ungefähr erklären, woher sie kommt.

Überschätzen Sie den Einfluß von Bronfman und Singer nicht ein bißchen, wenn man sich die Reaktionen anderer Staaten anschaut wie USA, England, Frankreich. Ich glaube nicht, daß das alles Marionetten sind, die an den Drähten von Singer und Bronfman herumtanzen.

Nein, nein. Aber schauen Sie, das wird ja systematisch betrieben. Wie ich in Salzburg war, wie ich Herrn Weizsäcker und Herrn Havel getroffen habe, wer ist gekommmen? Der Rabbi Weiss, begleitet von drei Kollegen. Das hat genügt. Es ist nicht das Positive durch die Welt gegangen, sondern das negative.

Woher hatten Sie die Idee zu der Bagdad-Reise? Ich denke, eines morgens ist Waldheim aufgestanden und hat sich gesagt, jetzt fahre ich nach Bagdad, da war ich noch nicht. Wahrscheinlich waren Sie schon dort...

...ja, da war ich schon.

Gut, jetzt fahre ich nach Bagdad, da war ich lange nicht mehr. Ist das so gewesen?

Ich kann Ihnen etwas zeigen.

Ist das ein Brief, den Sie bekommen haben?

Nein, das ist ein Leserbrief an die Zeitung, wo diese Episode geschildert wird, wie zwei mir völlig unbekannte Staatsbürger, ein Ehepaar, gekommen sind und gesagt haben, unsere Schwester, also ihre Schwester, ist in Kuweit und ist in Lebensgefahr. Das ist an die 'Krone‘ gerichtet worden, aber ähnliche Leserbriefe waren in andern Zeitungen. Ich zeige Ihnen das, denn das ist eine wahre Begebenheit und beleuchtet die Hintergründe, warum ich mich entschlossen habe, nach Bagdad zu fliegen.

Österreichische Kollegen, mit denen ich gesprochen habe, haben es Ihnen übel genommen, daß Sie auch nach Ihrer Rückkehr aus Bagdad kein kritisches Wort über Saddam Hussein verloren haben.

Ja, das war in der Fernsehdiskussion am Sonntag vormittag, wo offenbar die Leute nicht verstanden haben, was ich sagen wollte. Ich wollte dem Publikum und auch meinen Interviewern sagen, bitte, das ist es, was Saddam Hussein mir erklärt hat.

Also, Sie würden Saddam Hussein nicht als einen Freund bezeichnen?

Ich habe ihn viel zuwenig gekannt. Ich habe ihn einmal anläßlich einer Reise durch die Golfstaaten als Generalsekretär der UNO gesehen, besucht, mit ihm die üblichen Gespräche geführt. Das war alles.

Wenn Sie vorhin von gewissen Gruppen sprachen, die etwas böse auf Sie sind, um es freundlich zu formulieren, dann ist es damit noch nicht getan. Wenn ich mich durch die österreichischen Zeitungen durcharbeite...

...das ist gar nicht so einfach...

...dann treffe ich auf eine Vielzahl von Sottisen, man würde in Deutschland sagen, von Hämen, die Ihnen gelten. Der Falter hat neulich geschrieben, ich habe es gestern erst gelesen, wenn man sich anschaut, wohin unser Bundespräsident fährt, dann könnte man annehmen, Österreich liege irgendwo zwischen Syrien und Jordanien. Und in der Tat, wenn ich mir die Liste der Auslandsreisen ansehe, machen die arabischen Staaten die Mehrzahl der Reiseziele aus, den Vatikan mal ausgenommen. Woher kommt dieser Bonus, den Sie offenbar bei vielen arabischen Staatschefs genießen? Noch aus Ihrer Zeit als UN-Sekretär?

Ja, sicherlich, sonst hätte ich sie ja nicht gekannt. Natürlich habe ich dort gute Beziehungen zu diesen Staaten gehabt. Die hatte ich aber auch zu anderen Staaten. Nur durch diese unerfreuliche Verleumdungskampagne sind natürlich gewisse Probleme in westlichen Staaten entstanden, das will ich gar nicht leugnen. Und es tut mir leid, daß man Unwahrheiten zur Basis von Verhaltensweisen nimmt.

Sie dürfen nicht vergessen, in der Zwischenzeit ist doch eine Auflockerung eingetreten. Ich habe mich mit dem deutschen Bundespräsidenten getroffen, ist ja gleich, ob ich hinfahre oder er herkommt, auch wenn es bei einem kulturellen Ereignis gewesen ist, in Salzburg; auch Herr Havel war hier. Und es war inzwischen der zypriotische Präsident auf einem Saatsbesuch hier, erst vor ein paar Wochen vor dem Sommer. Ich war in der Türkei, einem Nato-Land, im Vatikan, ich war in Liechtenstein beim Begräbnis des Großfürsten — also es ist nicht so, daß meine Reisen nur auf arabische Länder beschränkt sind.

Finden Sie es eigentlich besonders kränkend, daß mein Kanzler und Ihr Freund Helmut Kohl Sie noch nicht zu einem offiziellen Besuch in die Bundesrepublik eingeladen hat?

Ich habe mich mit Kohl ja wiederholt getroffen, in Salzburg.

Aber nicht offiziell.

Ja, schauen Sie, um das geht es ja nicht. Diese offiziellen oder nicht-offiziellen Aspekte. Der Kanzler kann nur unseren Bundeskanzler einladen, mein Pendant ist Weizsäcker, mit dem habe ich mich getroffen. Jetzt werden wir einmal sehen, wie es weitergeht. Mit Kohl habe ich mich auch im Urlaubsort getroffen, und zwar mehrfach, wir haben sogar Wanderungen gemacht zusammen.

Ich möchte auf Saddam Hussein zurückkommen. Was mich interessieren würde, worüber haben Sie mit ihm noch gesprochen außer über die Freilassung der österreichischen Geiseln?

Das war das Hauptziel, nicht nur die Freilassung der österreichischen Geiseln, sondern ganz allgemein der Ausländer, die dort festgehalten wurden und werden. Das war ein Aspekt. Der zweite Aspekt war natürlich, über die Lage zu sprechen. Natürlich haben wir auch über die Lösungsmöglichkeiten gesprochen.

Ich habe die letzten Jahre, wie Sie wissen, in Israel verbracht, und ich habe in Israel etwa dreimal im Jahr gehört, daß Saddam Hussein Israel die Vernichtung, die Ausradierung verspricht. Haben Sie Saddam Hussein vielleicht gesagt, daß es keine allzu gute Idee ist, den Juden nochmals mit der Vergasung zu drohen?

Wir haben überhaupt nicht über dieses Problem gesprochen, sondern nur über die Situation im Golf und die Wichtigkeit eines Abzuges der irakischen Truppen aus Kuweit, einem unabhängigen Staat, und die Möglichkeiten, wie man aus dieser Situation herauskommen könnte.

Als Sie zurückkamen nach Österreich, sah es für viele und auch für mich so aus, als hätten Sie einen enormen Prestigegewinn durch die Reise verbucht, aber als habe Österreich zugleich weiteren Schaden erlitten. Das Land scheint außenpolitisch weiter in die Isolation zu geraten, wenn man sich die Reaktonen der ausländischen Regierungen und der ausländischen Medien anschaut.

Ich bin Präsident Österreichs und nicht des Auslandes, daher ist mir natürlich die Haltung meiner eigenen Staatsbürger von besonderer Wichtigkeit.

Sie haben einmal gesagt, die UN- Zionismus-Resolution aus dem Jahre 1975 sei eine „bedauerliche Entscheidung“. Glauben Sie das immer noch?

Es hat dem Prestige der Vereinten Nationen geschadet. Es ist damals sehr kritisiert worden...

...ich glaube auch, daß es eine inhaltlich falsche Entscheidung war.

Ja, es war jedenfalls eine Resolution, die die Weltorganisation in große Schwierigkeiten gebracht hat. Und ich habe diese Kritik auch damals vorgebracht, auch in einem Artikel, der im 'Foreign Affairs-Magazin‘ in New York erschienen ist, also das liegt schwarz auf weiß vor, wo ich auch auf den Schaden verwiesen habe, der durch diese Resolution entstanden ist. Österreich hat damals auch gegen die Resolution gestimmt.

Es haben damals alle westeuropäischen Länder dagegen gestimmt. Dr. Waldheim, wäre es technisch nicht möglich und auch ratsam, wenn sich Österreich als neutrales Land um eine Aufhebung, um eine Revision dieser Entscheidung bemühen, einen politischen Anstoß geben würde, diese UN-Resulution, die übrigens nicht nur den Vereinten Nationen geschadet hat, sondern auch Israel geschadet hat, aufzuheben.

Hat sie Israel wirklich geschadet?

Ja, sie hat Israel erheblich geschadet, und zwar durch die Folgereaktion, durch die Nichtaufnahme Israels in das Internationale Rote Kreuz zum Beispiel. Die Grundlage dieser Ablehnung ist immer noch diese UN-Resolution aus dem Jahre '75, die ist wirklich sehr unheilvoll.

Ist mir gar nicht bekannt, daß Israel nicht in das Internationale Rote Kreuz aufgenommen wurde. Und die haben sich auf die UN-Resolution bezogen?

Ja. Herr Dr. Waldheim, ich habe Vaclav Havels Rede in Salzburg gelesen. Es gibt dort eine Passage, von der Kommentatoren behaupteten, sie sei auf Sie gemünzt.

Ich kenne sie. Das Umschreiben der Biographie.

„Das Umschreiben der Biographie gehört zu den traditionellen mitteleuropäischen Wahnideen. Versucht jemand, dies zu tun, schadet er sich und seinen Mitbürgern“, usw. Haben Sie diese Passage auf sich bezogen?

Sicher nicht, ich habe meine Biographie nicht umgeschrieben. Ich habe das in einem öffentlichen Interview gleich nach dieser Diskussion gesagt, daher kann ich es auch nicht auf mich beziehen.

Aber in der Analyse stimmen Sie Havel zu, daß der Umgang mit der eigenen Biographie ein sehr sorgfältiger und wahrheitsgetreuer sein muß?

Ja sicher. Aber ich habe es nicht auf mich bezogen, weil er ja sagt, im zentraleuropäischen Raum glaubt man, die Geschichte in dieser Form umschreiben zu können, und er bezeichnet es als eine Wahnidee. Aber ich betrachte es absolut nicht auf mich bezogen, sondern auf eine Geisteshaltung in unserem Raum. Schauen Sie, ich bin froh, daß Sie das erwähnen, dieser zentraleuropäische Raum hat ja Furchtbares mitgemacht.

Er hat auch Furchtbares angestellt.

Furchtbares angestellt, Furchtbares mitgemacht. Schauen Sie, die Bevölkerung: Wie oft haben sich die politischen Umstände verändert, die Umbrüche von einem Regime zum anderen. Das nachfolgende Regime hat die eingesperrt, die sich für das vorangegangene engagiert haben usw. Ob das in der Tschechoslowakei war, ob das in Ungarn war, ob das in Österreich war, es ist ein Raum, der durch die Geschichte wirklich nicht allzugut behandelt wurde. Und daraus haben sich dann diese Probleme ergeben, die hier offenbar Havel zum Ausdruck bringen wollte.

Lassen Sie mich zum Abschluß noch auf eine Frage zurückkommen und Sie bitten, sie präzise zu beantworten. Wenn man Ihnen gegenüber sitzt, hat man den Eindruck, entschuldigen Sie, eines charmanten, älteren Herrn. Woran liegt es, daß der Name Waldheim solche Aggressionen auslöst?

Das ist einfach eine boshafte Medienkampagne, die gegen mich geführt wird. Mir hat einmal ein Politiker eines westlichen Landes gesagt, wissen Sie, ich würde ja liebend gerne mit Ihnen zusammenkommen, aber ich fürchte mich vor der Medienkampagne, die nachher gegen mich, also gegen ihn, erfolgen würde.

Was bringt denn die Medien dazu? Irgendein Reizwort muß von dem Namen Waldheim ausgehen.

Ich wundere mich auch. Jeder sagt, mein Gott, wenn man Dich kennenlernt, Du bist ein ganz normaler Mensch, und es ist eigentlich recht angenehm, mit Dir zu sprechen. Ich verstehe es auch nicht. Und ich kann Ihnen darauf erwidern, ich verstehe es auch nicht. Ich weiß auch nicht, vielleicht gefällt dem einen oder anderen meine Nase nicht oder meine Ohren, ich weiß es nicht. Ich habe damit zu leben, bleibt mir nichts anderes übrig.

Das Interview erscheint diese Woche in etwas geänderter redaktioneller Fassung auch in der Österreichischen Zeitschrift 'Profil‘.