Der „Bär, der Frohsinn bringt“, im Zirkus des Kapitals

■ „Bärensiegel“-Geschäftsführer als Ritter im Kampf gegen das frühere Kombinat, die bundesdeutschen Handelsketten und den neuen Partner vom Rhein

„Der gebrannte Wein schützt vor Fäulnis, entzieht den Pflanzen Säfte, heilt innerlich und äußerlich zahlreichen Krankheiten, erhält jung und löst die Geister.“ (Kardinal Vitalis de Furno)

Was mundet ebenso gut wie ein edler Tropfen Moselwein, mag sich Wolfgang Langguth, Hauptgesellschafter der Privatkellerei F.W.Langguth Erben in Traben-Trarbach, gefragt haben, bevor er sich entschloß, die Bärensiegel GmbH in Ost-Berlin zu schlucken.

Auf den ersten Blick wirkt die Ostberliner Produktionsstätte tatsächlich wie ein Filetstück unter den ostdeutschen Betrieben: Bärensiegel wird keine Altschulden bilanzieren müssen, und vor Enteignung braucht sich dort auch niemand zu fürchten.

Das Gelände in der Josef-Orlopp- Straße 82, auf dem nach dem zweiten Weltkrieg mit der Spirituosenproduktion begonnen wurde, stammte aus dem Eigentum der Reichsmonopolverwaltung für Sprit. Das Personal wurde bereits um 50 Prozent auf derzeit 130 Beschäftigte reduziert, so daß dem neuen Inhaber auch hier kein zäher Brocken zum Kauen gereicht wird.

Dennoch ist Langguth besorgt: Das Fortbestehen von Bärensiegel sei gegenwärtig „nicht gesichert“, betont Geschäftsführer Erwin Harpain auf einer gemeinsamen Pressekonferenz eindringlich. Die Produktion sei bereits auf ein Minimum reduziert, trotzdem sei der Absatz nicht gesichert.

Kurzarbeit ist angekündigt. Das Unternehmen, das jetzt erst privatisiert wurde, scheint den rechtzeitigen Sprung in die Marktwirtschaft und in die Verkaufsregale verpaßt zu haben.

Schuld an dieser späten Geburt hat nach Meinung Harpains der ehemalige Leiter des Kombinats Spirituosen, Wein und Sekt, Friedhold Birnstil, der an der Verselbständigung Bärensiegels offensichtlich kein Interesse hatte.

Noch vor wenigen Tagen erklärte der Geschäftsführer des in die Mitteldeutsche Getränke GmbH umgewandelten Kombinats, daß er mit den sieben rentabelsten Betrieben des ehemaligen Kombinats weitermachen wolle.

Harpain kommentiert ironisch: Birnstiel müsse sich verzählt haben. Es bleiben allenfalls sechs Betriebe unter dem Dach der als Holding geplanten Muttergesellschaft.

Birnstiel selbst sieht die Sache allerdings anders. Er scheint die Querelen mit dem Trotzkopf Harpain schon gewohnt zu sein, denn müden Tones und klaren Wortes teilt er auf Anfrage mit, daß „von Trennung nicht gesprochen werden kann“. Sobald die Treuhand dem Verkauf von Bärensiegel an Langguth zugestimmt hat, will sich der Rheinländer nach Angaben Birnstiels auch als Gesellschafter in die Mitteldeutsche Getränke GmbH einkaufen.

Das macht auch Sinn, da die Muttergesellschaft bereits über Lieferverträge mit bundesdeutschen Handelsketten verfügt, die sich der junge Betrieb noch mühsam zu erkämpfen hätte.

Am liebsten möchte Bärensiegel ohnehin an Tengelmann, Metro und Rewe-Leibrand vorbei direkt vom Einzelhändler geordert werden. Mit neuen Etiketten und attraktiveren Flaschenformen wollen sich die Schnapsbrenner beliebt machen.

es ist geplant, das Sortiment von bisher 33 hochprozentigen Produkten auf einige wenige, darunter die prämierten Brände, herunterzuschrauben werden.

Dem Tippelbruder von nebenan dürfte die Goldmedaillie aber die Mark nicht wert sein, die er für die Flasche mehr auf den Tisch legen müßte.

Höhere Qualität und höherer Preis — das bleibt eine riskante Strategie auf dem Spritmarkt der DDR. Das Weinangebot war früher spärlich und teuer. Deswegen ließen sich DDR- BürgerInnen gut doppelt soviele Fruchtliköre und Obstbrände die Kehle hinunterrinnen wie die Westdeutschen.

Eine Angleichung an Bundesniveau ist aber zu erwarten. Bärensiegel — noch nicht einmal drin im Markt — wird es also doppelt schwer haben.

Harpain scheint aber an der Rolle des Ritters der Spritbranche Gefallen zu finden. Der braungebrannte Zwei- Zentner-Mann will es allen zeigen: Birnstiel, den bundesdeutschen Handelsketten und nicht zuletzt auch seinem Partner von der Mosel.

Langguth strebt eine 100prozentige Unternehmensbeteiligung an. Harpain möchte den Schulterschluß seiner Belegschaft mit Anteilen belohnen.

Mehr als 100 Prozent können ja wohl nicht verteilt werden? „Dann muß Langguth eben was abgeben,“ meint der Ehrgeizling mit einem vielsagenden Lächeln.

Harpain hat sich viel vorgenommen. Mit einem Schluck „Bärenkirsch“ sieht alles schon viel rosiger aus. Claudia Wuttke