Hafenstraße auf den Spuren Kohls

■ Bei einer Durchsuchung der besetzten Häuser in Hamburg hat die Polizei im Mai laut 'Stern‘ Hinweise auf geplante Anschläge gegen den Bundeskanzler und gegen Daimler-Benz-Chef Reuter gefunden

Berlin (ap/taz) — Die RAF hat angeblich Bundeskanzler Helmut Kohl, den Daimler-Benz-Vorstandsvorsitzenden Edzard Reuter und andere führende Politiker und Industrielle ausgespäht — und die Unterlagen dafür in den besetzten Häusern der Hamburger Hafenstraße rumliegen lassen.

Der Sprecher der Bundesanwaltschaft (BAW), Hans-Jürgen Förster, bestätigte gestern Informationen des 'Stern‘, wonach die Polizei bei der Durchsuchung des „Hafens“ im Mai dieses Jahres Stadtpläne von Ludwigshafen/Mannheim, Stuttgart, Bremen und München gefunden hat. Markierungen in diesen Plänen zeigten „eine räumliche Nähe zu Wohnsitzen oder Arbeitsstätten von Politikern und Industriellen“, sagte der BAW-Sprecher. Laut 'Stern‘ waren auf der Karte des Ludwigshafener Stadtteils Oggersheim in unmittelbarer Umgebung von Kohls Bungalow zwei geeignete Anschlagsorte sowie ein Fluchtweg eingezeichnet.

Mitte Mai hatten rund 2.200 Polizisten die Häuser in der Hafenstraße umstellt und durchsucht, angeblich um zwei mutmaßliche RAF-Mitglieder festzunehmen. Die Gesuchten waren zwar nicht angetroffen worden, dafür hatten die Staatsschutzbeamten jedoch nach Informationen der taz unter anderem über tausend teils verschlüsselte Computer-Disketten mitgehen lassen, die in den Folgemonaten beim BKA in Wiesbaden entschlüsselt worden seien. Dabei sei man auf einen ganzen Katalog bundesdeutscher Polit- und Industrieprominenz gestoßen, sämtlich potentielle Anschlagsziele. Dennoch glauben Verfassungsschützer nicht an die in Hamburg seit Jahren kolportierte Theorie von der „RAF-Komandozentrale“ in der Hafenstraße. Es handele sich eher um eine Art potentielle „Service-Leistung“ des RAF-Umfelds für mögliche spätere Nutzer.

Nach Informationen des 'Stern‘ halten Teile des Sicherheitsapparats eine RAF-Entführungsaktion zur Freipressung der RAF-Gefangenen nach dem Muster der Schleyer-Entführung im Jahr 1977 für möglich. Zur Untermauerung dieser Theorie zitiert das Hamburger Magazin aus dem letzten Brief des RAF-Gefangenen Helmut Pohl. Er hatte in dem Schreiben erklärt: „Gefangene wollen natürlich raus.“ Und: „Endsieg ist angesagt.“ Nach Ansicht von Verfassungsschutz-Exegeten greift Pohl allerdings mit dem letzten Satz bestimmte Hardliner auf seiten des Staates in ihrer Haltung gegen die Gefangenen an.

Der 'Stern‘ berichtet ferner über Aussagen von in der DDR festgenommenen RAF-Aussteigern, wonach in den siebziger Jahren auch Außenminister Genscher Opfer eines RAF- Anschlags werden sollte. Um den Politiker unauffällig ausspionieren zu könne, habe man sich damals im Tierheim einen Hund ausgeliehen und war bei Genschers spazieren gegangen. gero