Grüne drücken sich um Austrittsdebatte

Bundesvorstand übte leise Kritik an „bestimmten öffentlichen Äußerungen“ von Grünen und will damit die Aus- und Übertrittswelle zur Linken Liste/PDS erklären/ Keine Kosequenzen für Udo Knapp  ■ Von Ferdos Forudastan

Bonn (taz) — „Wir haben absolut nichts geschnallt und total geschlafen“ sagt Christian Ströbele. „Zu zögerlich sind wir gewesen“, formuliert es Heide Rühle. Die beiden Sprecher des Grünen Bundesvorstandes müssen ihre Zerknirschtheit demonstrieren, um glaubwürdig zu sein: Die jüngsten Austritte bekannter Grüner und einige Übertritte zur PDS erklärten sie gestern nämlich so: „Bestimmte öffentliche Aüßerungen, die außerhalb des grünen Grundkonsenses stehen, von einzelnen Mitgliedern der Grünen, haben mit dazu beigetragen, daß eine solche Entwicklung begünstigt wurde.“ Allerdings: Der Bundesvorstand selbst hatte es bis gestern nicht geschafft, Position zu den „bestimmten öffentlichen Äußerungen“ zu beziehen, die mit ursächlich für Aus- und Übertritte sein sollen.

An Zeit hatte es der Parteiführung nicht gemangelt. Die „bestimmten öffentlichen Äußerungen“ sind schon vor über vier Wochen gefallen. In der taz hatten Udo Knapp und Bernd Ulrich als Mitarbeiter der Grünen Bundestagsfraktion in einer Weise zum Golfkonflikt Stellung bezogen, über die viele Grüne entsetzt waren. Ulrich plädierte für ein Handeln der Bundesrepublik mit dem Argument Deutschland sei eine Weltmacht und inzwischen „vor der Geschichte und der Weltöffentlichkeit normalisiert“. Knapp forderte gar eine „Weltfriedenspolizei“ und legte nahe, daß sie unter anderem von Deutschland gestellt werden müsse.

„Ganz eindeutig hat Udo damit massiv grüne Essentials verletzt“, urteilte Heide Rühle darüber am Dienstag in einer Krisensitzung des Grünen Bundesvorstandes. Niemand der zahlreichen Anwesenden widersprach- und keine(r) konnte so recht sagen, warum man sich erst jetzt dazu erklärt, daß grüne Fraktionsvorstandsmitarbeiter ein militärisches Eingreifen im Golf nahelegen, beziehungsweise die deutsche Geschichte freisprechen. Zu viel Pragmatismus, präge wohl noch den Bundesvorstand. So analysierte gestern vor der Presse in Bonn Heide Rühle „dieses Versäumnis.“

Die Selbstkritik am zu großen grünen Bedürfnis nach Harmonie hatte allerdings deutliche Grenzen. So konnten sich etwa einige der Linken angehörenden Mitglieder des Bundesvorstandes nicht mit ihrer Forderung durchsetzen, man müsse auch die Ursachen der Austritte öffentlich analysieren. „Die grüne Politik ist nach rechts gegangen“. Daß sie darin einen Grund der Austritte sieht, konnte etwa die grüne Vorstandssprecherin Renate Damus gestern kundtun. In der offiziellen Stellungnahme zu den Austritten wird eine Erklärung kaum versucht.

Auch eine andere Diskussion hatte man, wohl um der Harmonie willen, erst gar nicht richtig geführt: Die möglicher Konsequenzen der Verletzung „grüner Essentials“. Man werde künftig stärker darauf achten, daß die öffentliche Darstellung der Politik mit der Politik der Grünen übereinstimme „und nicht länger hinnehmen, daß einzelne ein Zerrbild der Politik der Grünen zeichnen.“ Weiter mochte der Bundesvorstand auch im Falle Knapps nicht gehen.