Diestel: „Ich habe nichts gewußt“

■ DDR-Kabinett: Minister sollen vor Subalternen und Medien über Stasi-Akten informiert werden

Berlin (taz) — Das mußte ja mal gesagt werden: das Ostberliner Kabinett „erwartet“, daß künftig „nicht mehr die Medien oder untergeordnete Mitarbeiter vor den staatlichen Behördenleitern Listen und andere Informationen über die frühere Staatssicherheit“ erhalten, gab Regierungssprecher Gehler gestern vor Journalisten einen Beschluß der Regierung wieder. Anders als im Fall der Enttarnung der früheren Stasi-Offiziere im besonderen Einsatz“ (OibE) wollen die Minister sich nicht mehr aus den Medien darüber informieren lassen, wer von früheren Schnüfflern und Denunzianten womöglich heute noch in einer Amtsstube hockt. Damit reagierte das Kabinett auf einen „Kontraste“-Bericht über eine Besoldungsliste mit mehr als 2.000 Namen und Daten von mutmaßlichen OibEs (siehe taz von gestern). Diestel wies erneut alle Vorwürfe zurück, er verschlampe die Enttarnung jener Offiziere. Wörtlich: „Nur unter Rechtsbeugung hätte ich Informationen über die OibEs geben können.“ Im Mai habe der Ministerrat beschlossen, daß sein Ministerium „ausschließlich den sicheren Verbleib und die Verwahrung der Akten zu gewährleisten habe“. Die Aufarbeitung obliege dem Parlament. Dem Staatlichen Komitee zur Auflösung der Stasi wurde im Juni der „Auftrag erteilt, komplexes Auskunftsmaterial über die OibEs zu erstellen“. Vorher habe er nie etwas von dem Begriff OibE — über das Problem berichteten die Bürgerkomitees und Medien seit April — gehört. Am 27. Juni dann sei dem zuständigen parlamentarischen Ausschuß ein Bericht über die OibEs und die „Unbekannten, inoffiziellen Mitarbeiter“ zugegangen sowie „zwei Original- Disketten mit einer Aufstellung mutmaßlicher Personen“. Danach habe es „im Bereich des Ministeriums keinerlei Material mehr gegeben“.

Auf Nachfrage wollte Diestel nicht ausschließen, daß dieses Material von Angehörigen des Staatlichen Komitees anderweitig genutzt worden sein könnte — immerhin sitzen diverse Ex-Stasisten in dem Komitee, der Büroleiter war selbst ein OibE, ebenso wie ein Mitarbeiter, der Zugang zu nahezu allen Akten hatte.

Zwischen den Zeilen monierte Diestel deutlich die Arbeit des parlamentarischen Sonderausschusses, dessen Vorsitzender, der Abgeordnete Jochen Gauck (Bündnis 90), am vergangenen Freitag verschiedene OibE-Namenslisten durch die Ministerien und zum Leiter des Ostberliner Pressezentrums trug. 14 der hier 150 Beschäftigten waren vermutlich OibEs. Vier von ihnen waren nicht mehr anzutreffen, zehn weitere wurden mit sortiger Wirkung beurlaubt. Das Innenministerium, sechzigmal auf der OibE-Liste präsent, entließ seit vergangener Woche aus dem MdI und nachgeordneten Behörden, 16 Personen, beurlaubte 26 Mitarbeiter und führt, so Diestel, „mit 18 Personen noch weitere Gespräche“. Keiner der über 2.000 OibEs kann sich Chancen auf einen Beamtenposten ausrechenen. Wer enttarnt wird, muß laut Kabinettsbeschluß mit sofortiger Beurlaubung und Gesprächen rechnen. Noch ist es unklar, ob die Zahl dieser supergeheimen Spitzel in Behörden, Betrieben und allen gesellschaftlichen Institutionen nicht noch höher liegt. Längst pfeifen es die eingeweihten Spatzen von Berlins Dächern, daß es detaillierte Unterlagen über mehr als 6.000 OibEs gibt. peb