»Gelber Köstlicher« erobert Moabit

■ Großaktion im Fruchthof soll havelländischem Obst und Gemüse den Weg auf den Berliner Markt erleichtern

Moabit. Lang ist es her, da der gebeutelte Ossie noch halbe Tagesreisen in Kauf nahm, weil er gerüchteweise vernommen hatte, daß er drei Stadtbezirke weiter unter Umständen in einem Laden die von ihm so sehr begehrte gelblich-krumme Südfrucht erstehen könnte. Mittlerweile hängt das symbolträchtige Obst auch dem wildesten Freak zum Halse heraus, die Läden sind voll, und die (Bananen-)Preise fallen. Dafür haben es die früher einzigen Schaufensterfüller, die von der SED-Agrarpolitik bevorzugten Äpfel der Sorte »Gelber Köstlicher«, schwer, noch irgendeinen Konsumenten zu finden.

Die Bäume, einst zu Hunderttausenden gepflanzt, sehen nun einer finsteren Zukunft entgegen. Da helfen auch keine markigen Slogans mehr (»Was hat schon Wilhelm Tell verwandt — Äpfel aus dem Havelland«) — die Säge steht. Der pappig- trockene Geschmack des SED- Apfels kann nun mal nicht mit seinen knackigen Konkurrenten aus Holland oder Frankreich gleichziehen.

Doch nicht nur Qualitätsunterschiede sind schuld daran, daß es im havelländischen Obstanbaugebiet so trüb wie wohl selten zuvor aussieht. Das Vertriebssystem ist mit Übernahme des ehedem volkseigenen Handels zusammengebrochen. In teilweise schon verzweifelten Aktionen, versuchen die Bauern wenigstens einen kleinen Teil ihrer Ernte an den Mann zu bringen. Meist ein Tropfen auf den heißen Stein, denn auch der größte Wochenmarkt ersetzt nicht einen funktionierenden Großhandel.

In dieser Situation wurde vom »Verband des Berliner Frucht-Import und Großhandels e.V.« eine Hilfsaktion gestartet. Zusammen mit der Senatsverwaltung für Wirtschaft wurde auf dem Gelände des Fruchthofes in der Moabiter Beusselstraße eine »Börse für Obst und Gemüse aus der DDR« eröffnet. Wissend, daß auch nach der Maueröffnung Obst und Gemüse aus dem Berliner Umland nicht völlig vom Ladentisch verschwinden können, hat der Verein mit dieser Großaktion versucht, Anbietern und Produzenten aus der DDR den Zugang zum Berliner Großmarkt zu erleichtern und sie mit den einschlägigen Bestimmungen für den Verkauf vertraut zu machen.

Das Angebot der DDR-Produzenten beschränkte sich erstaunlicherweise nicht nur auf Kartoffeln, Äpfel und Sauerkraut, sondern hatte eine ganze Palette von landwirtschaftlichen Erzeugnissen vorzuweisen. Über fünfzig DDR-Erzeuger von Obst und Gemüse hatte ihre Zusage gegeben und waren auf dem riesigen Gelände des Westberliner Hauptumschlagplatzes für landwirtschaftliche Produkte erschienen. Wirtschaftssenator Mitzscherling ließ es sich nicht nehmen, sich zur Eröffnung der Börse persönlich anzumelden.

So waren denn die angereisten Vertreter von Landwirtschaftlichen Produktionsgenossenschaften (LPG) und einigen neugegründeten Großhandelskooperativen verhalten optimistisch gestimmt. Viele von ihnen waren das erste Mal im »Obst- Bauch von Berlin«, und ein Obstbauer aus Werder konnte es sich nicht verkneifen, dieses Objekt mit seinem mickrigen Ost-Bruder am Wrizener Bahnhof zu vergleichen. Olaf Kampmann