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Heiner in Frankfurt, Heiner in Berlin

Fünf Hörstücke von Heiner Müller auf Jugendradio DT64, Samstag, 22.03 Uhr  ■ Von Micha Möller

In der Zusammenarbeit von Heiner Müller und Heiner Goebbels ist über die Jahre ja bereits Un-erhörtes entstanden: ehrwürdige Müller-Texte wurden da von einem Opernsänger gegurgelt und geschmatzt, von narkotisierten Nachtschwärmern der Berliner Szene gegrölt, sie wurden von Müller selber gelesen, von Blasmusik untermalt oder von Arto Lindsays Poltereimergitarre attackiert. Es konnte in Goebbels Vertonungen scherzlich über Stellen gelacht werden, deren Komik selbst für den Autor Müller bislang unbekannt war. Gemessen an dem, was Komponist Heiner Goebbels den Texten seines Namensbruders zumutet, was sie an Bearbeitung auszuhalten haben, muß die Beziehung zu den Arbeiten Müllers eine intensive sein.

Mehrfach formulierte Goebbels, was den Reiz an diesen Texten für ihn ausmacht: „Ihre Musikalität, ihre Rhythmik, Auslassungen, Zäsuren — in der Musik würde man sagen Pausen, die Existenz des Inhalts selbst in kleinen Wortgruppen und Silben.“

In diesem Sinn kommt die Dramatik Müllers, die eher einer fragmentarischen als linearen Erzählweise folgt, den Kompositionsvorlieben von Goebbels entgegen. Vier Arbeiten, allesamt unterschiedlichen Charakters, enstanden auf dieser Textbasis. Gering an Textumfang hatten Hörstücke wie Befreiung des Prometheus oder Der Mann im Fahrstuhl Zeit, sich auszubreiten; fand doch Goebbels jedesmal eine neue Methode, ihnen beizukommen. Auf diese Weise hat er sich, was auch sein formulierter Selbstanspruch ist, nie wiederholt. Die Ausgangssituation bei seiner neuen Arbeit war eine völlig andere. Da verhindern die Müllertexte schon von sich aus jede Anlehnung an Erfolgsrezepte der vorangegangenen, reichlich mit Preisen bedachten Arbeiten.

Die fünf Hörstücke von Heiner Goebbels nach Texten von Heiner Müller sind eine Sensation für jeden Hörspielfreund und darüber hinaus Überraschung für Musikfans allgemein. Welches Hörstück könnte von sich behaupten, nach einem kürzendem Re-mix hitparadenreif zu sein — welcher Metaller erwartet auf dem Hörspielplatz sein Leibgericht, aus der Speedmetal-Küche? Goebbels ist in seiner Bearbeitung der Wolokolamsker Chaussee als Komponist weit zurückgetreten und hat mit Musikgruppen aus seinem unmittelbaren Umfeld, der Stadt Frankfurt/M. zusammengearbeitet. Damit wurde er den Erfordernissen, vor allem aber dem Umfang des Textes gerecht, der nach einem direkten Verstehen, einem sehr bodenständigen Transport verlangt.

Klischees der Genres Heavy Metal, Hip Hop, aber auch das eines Männerchores kamen diesen Erfordernissen entgegen. Goebbels stand aber vor einer weiteren Aufgabe: Aus der Bedingung, kein Stück über die DDR machen zu wollen, (obwohl die fünf Texte mittel- und unmittelbar DDR-Geschichte beschreiben, beginnend mit der russischen Offensive im Zweiten Weltkrieg an der Wolokolamsker Chaussee) ergab sich die Notwendigkeit der Übersetzung der Texte in einen geographischen Raum, in dem die sprachlichen Bilder jedoch keinerlei Realität besitzen.

Die literarischen Vorlagen von Wolokolamsker Chaussee Teile 1 und 2, Alexander Beks Roman, gehörten in der DDR zur schulischen Pflichtlektüre, während ein „Russischer Wald“ oder sowjetische Rangabzeichen in der Bundesrepublik keinerlei sinnliche Bezüge finden. An dieser Stelle beginnt die Kritik Müllers an der Arbeit Goebbels: die unterschiedlich gemachten Erfahrungen von Geschichte. Ist für ihn der Russische Wald zuallererst der Gummiknüppel, wird von Sprecher und Sänger Ernst Stötzner sentimentale Lagerfeuerromantik assoziiert.

In einer zweistündigen Sendung werden Auszüge der fünf Hörstücke geboten, Vorarbeiten und musikalische Einflußfaktoren. Daneben gibt es Interviews mit Heiner Goebbels und beteiligten Musikern. Auf diese Weise wird der spannende Bogen beschrieben, der sich zwischen den Polen Heiner in Frankfurt und Heiner in Berlin zieht.

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