Kaum begonnen — schon zerronnen

■ IG Bergbau-Energie-Wasserwirtschaft beschloß Auflösung/ Mitglieder sollen IG Bergbau und Energie (West) beitreten/ Organisationsstreit mit ötv nur am Rande erwähnt

Berlin (taz) — „Bei uns läuft das morgen anders“, orakelte am Freitag Peter Witte, Vorsitzender der Industriegewerkschaft Bergbau-Energie- Wasserwirtschaft (IGBEW) am Rande des mehr vor sich hin dümpelnden als geleiteten „Auflösungskongresses“ des FDGB. Witte, Chef von etwa 400.000 Energiearbeitern — genaue Mitgliederzahlen kennt zur Zeit niemand —, erwies sich als Prophet. Dem zupackenden Griff des leitenden Kollegen Lindner, Mitglied des im März gewählten Geschäftsführenden Vorstands der IGBEW, entging und entglitt am Samstag tatsächlich nichts. Im Gegenteil. Der Zeitplan war zwar von neun bis siebzehn Uhr ohnehin schon auf die Minute genau fixiert, doch der „außerordentliche Kongreß“ legte ganz von selbst ständig an Tempo zu, als ob er seinem hauptsächlichen Anliegen nicht schnell genug hätte entgegeneilen können: dem Beschluß über die Auflösung der Organisation.

IGBE-Auflösung zum 31. Oktober

Dem Kongreß, zu dem auch der frisch gewählte Vorsitzende der West-Schwester, Hans Berger, angereist war, lagen überhaupt nur fünf Anträge vor. In Minutenschnelle und ohne jede Diskussion stimmten die 185 der 254 geladenen Delegierten (43 fehlten „unentschuldigt“, 9 hatten ihr Mandat niedergelegt) über eine Satzungsänderung ab. Einstimmig berechtigten sie sich, gleich im Anschluß daran über die Auflösung zu beschließen.

Eine solche Satzungsänderung war angesagt, weil der 1.Ordentliche Kongreß im März dieses Jahres für den Auflösungsfall nämlich noch eine Urabstimmung vorgesehen hatte.

Um 14.05 Uhr war alles gelaufen: Ein Antrag von Delegierten aus Sachsen-Anhalt, wonach die IGBEW-Leute noch schneller als die deutsche Einheit sein und den Übertritt bereits zum 1.10. ermöglichen sollten, war abgelehnt, die zum 31.10. vorgesehene Auflösung bei einer Gegenstimme und einer Enthaltung und deren Abwicklung sogar ohne Gegenstimme beschlossen worden. Im letzten, mit drei Enthaltungen und ohne Gegenstimmen verabschiedeten Antrag heißt es: „Wir [...] fordern die Mitglieder auf“, den „Übertritt zur Industriegewerkschaft Bergbau und Energie zum 1.11.1990 zu vollziehen“. Als der Vorsitzende sein Schlußwort beendete, hatte der Kongreß gerade etwas über vier Stunden getagt.

Dabei gab es durchaus nicht ganz ungefährliche Klippen — um eine manövrierte der Vorsitzende vorsichtig herum: In seinem umfänglichen Arbeitsbericht sprach er zunächst von erfolgreich ausgehandelten Tarifverträgen und einem Rationalisierungsschutzabkommen. Dann erwähnte er „Bemühungen, besonders einer Gewerkschaft“ (nicht genannt, aber gemeint war die ötv), die 35.000 Kollegen aus der Wasserwirtschaft „zum Ausbruch“ aus der IGBEW bewegen zu wollen. Schon seit längerem gibt es einen Organisationsstreit um die Arbeitnehmer im Energiebereich zwischen der an Mitgliederschwund leidenden IG Bergbau und Energie (West) und der ötv. Im März hatten sich die Wasserwirtschaftler der Bergbaugewerkschaft angeschlossen. Die IGBE (West) gibt zu, damit bei der Vereinigung gegen die Satzung des DGB zu verstoßen, klagt aber gleichzeitig eine Reform der Organisationsgrenzen ein, mit dem Argument, diese bestünden seit 1949 und seien mithin veraltet als auch seinerzeit teils zufällig entstanden. Ein zusätzliches Argument führen die IGBEW'ler an: Die Organisationsgrenzen des DGB seien auf die Bundesrepublik zugeschnitten und könnten deshalb der DDR nicht einfach übergestülpt werden.

Die ötv wiederum kontert, ob innerhalb des DGB nun etwa alte FDGB-Strukturen gelten sollen? Und der nächste mögliche Dollpunkt mit der ötv liegt auch schon parat: die Beschäftigten der Atomkraftwerke, die in der BRD zum Organisationsbereich der ötv gehören, die die IGBE (West) aber schon länger an sich ziehen möchte.

Eine Kongreß-Panne gab's doch: mit der Revisions-Kommission, die nicht ordnungsgemäß getagt hatte. Darauf habe der Vorstand, moserte nach Kongreßschluß ein Delegierter, zu achten.

Nein, beschied ein seit kurzem hauptamtlicher Funktionär, der FDGB habe auf so etwas immer geachtet, besser also, „wenn bei uns mal so eine Plautze passiert“. Wenn so eine Panne denn der sinnvollen Einübung in neues gewerkschaftliches Verhalten dient, bleibt zu wünschen, daß der Neu-Funktionär recht hat. Anna Jonas