Zeit der Stille

■ Int. Herbstakademie am Samstag: Hammerklavierabend mit Andreas Staier

hierhin bitte

den grinsenden

Brillentyp

Man verläßt selten ein Konzert mit dem Gefühl, es sei immer mit Wahrhaftigkeit musiziert worden, immer alles 'richtig' gewesen. Eine solche „Sternstunde“ war jedoch der Hammerklavierabend mit Andreas Staier, der im Rahmen der „Ersten Internationalen Herbstakademie“ am Samstag in der Oberen Rathaushalle stattfand.

Staier erwies sich als exzellenter Musiker, der es verstand, dem Hammerklavier eine unglaubliche Fülle von Klangfarben und vor allem eine breitgefächerte Dynamik abzugewinnen.

Klug disponiert war stets die Verwendung des linken Pedals, durch die auf dem Hammerklavier ein zarter, Aeolsharfen-ähnlicher Klang entsteht. Schließlich zeichnet sich Staier durch einen beinahe unfehlbaren Sinn für Artikulation und Phrasierung aus. Trotzdem empfand man zu keiner Zeit ein zwanghaftes Umsetzenwollen historisierender Aufführungspraxis; stets wirkte Staiers Spiel spontan und lustvoll.

Es ist ganz umöglich, hier auf alle Schönheiten des Abends einzugehen. Das sorgsam ausgewählte Programm vermittelte die Idee eines Konfliktes der Künstler am Ende der Wiener Klassik, die versuchen, aus formelhaften Zwängen auszubrechen und nach neuen Wegen zu suchen.

So schien es in der C-Dur Sonate Haydns um die Darstellung dieses Konfliktes zu gehen. Dort stehen sich zwei Formen antipodisch gegenüber — Variationssatz und Rondo, aus denen ein „Ausbrechen“ noch unmöglich scheint.

Die folgenden Sonaten zeigten eine immer stärkere Überwindung von Überkommenem. Mozarts Fragment KV 399 einer Suite im Stile Bachs bricht dann folgerichtig nach dem dritten Satz ab; er konnte hier wohl nicht weiter — Rückschau war offensichtlich ein falscher Weg. Im Kontrast besonders zu diesem Werk wirkte Haydns zuletzt gespielte Es-Dur-Sonate geradezu bestürzend modern. Harmonische Kühnheiten und die großartige Freiheitsvision im Finale nehmen Beethoven vorweg.

Ich habe noch in keinem Konzert so stark empfunden, der „transparente“ Künstler sei lediglich Vermittler und allein das Werk selbst stünde im Mittelpunkt.

Dazu die besinnliche Atmosphäre im kaum erleuchteten Rathaussaal, ein Publikum, das eine künstlerische Höchstleistung zu würdigen verstand, schließlich das seltene Gefühl, Mozart und Haydn könnten nur so und nicht anders gespielt werden — an diesen Konzertabend werden viele Zuhörer sicher noch lange denken. Gunnar Cohrs