Wunderkerzen von Herzen

■ Udo Lindenbergs Ost-Berlin-Premiere in der Freilichtbühne Wuhlheide

Udo Lindenberg gehörte Ende der 60er Jahre als kaum 20jähriger zu den Pionieren dessen, was man damals Krautrock nannte. Damals hieß er noch unspektakulär und einfach »Lindenberg«; und seine Platte hieß »Daumen im Wind«. Nach den Wiederaufbau- und Wirtschaftswunderjahren, nach dem kurzen antiautoritären Schub, der jene, die in den frühen sechziger Jahren in die Welt gestellt wurden, nur noch als Erinnerung großer Schwestern oder Brüder berührte, gab's die große Leere, in der sich die Landschaft des Nordens blaßgrün entfaltete. Bis '76 oder '77 lebten wir in einem ideenlosen Raum und waren vor allem mit uns beschäftigt; mit Pubertät, sexuellen Schwierigkeiten, Schwulitäten, Freundin oder Freund — »is ja ganz egal, ob du ein Junge oder ein Mädchen bist« — mit Eltern, Mofa, Moped, Alkohol, Hesse, Castaneda oder Jerry Cotton, mit der Lehrstelle oder Schule, mit Glamrock oder Udo Lindenberg. So blaß und sehnsüchtig war das damals, daß jeder junge Mensch einfach weg mußte, um erwachsen zu werden, egal wohin und ob die Städte der Wünsche nun Henstedt-Ulzburg oder London hießen.

Udo Lindenberg sprach unverstellt die Sprache der 70er-Jahre-Jugend. Deshalb vergaß oder verleugnete ihn die nachwachsende Punkgeneration, wie man immer gerne die unsichere Zeit vor der Selbststilisierung oder dem vorgeblichen Erwachsenwerden vergißt. Zurückhaltend, fast versteckt, zog er in der Hausbesetzerzeit nach West-Berlin, um dieses und jenes zu unterstützen und stand vielleicht sogar — das bleibt sein Geheimnis — als einer der »Unbekannten«, in einer kurzlebigen Berliner Kultband, hinter Masken verborgen, auf der Bühne des Quartier Latin. »In 25 Minuten sind die Russen auf dem Kurfürstendamm...«

Die unterschiedlichen Glam- Oberflächenstile taugten immer wieder zu einem Revival, während man Udo ohne große Einführungen der nächsten Generation hinschmiß. Doch die westlichen Jugendprotest-, Mode- oder Politstile fanden nie ihren Weg in's Herz der DDR-Jugend. Es schien so, als wenn in der DDR die frühen siebziger Jahre der Bundesrepublik einfach stehengeblieben wären. So erklärt es sich, daß Udo in den Achtzigern in der DDR populärer war, als in der BRD. Der »Sonderzug nach Pankow«, den er vor ein paar Jahren im Palast der Republik, vor ausgewähltem Pionier- und FDJ- Publikum nicht singen durfte, avancierte zur DDR-Hymne.

Es gibt eine weitere, eher makabre Beziehung zum Osten: in der gleichen Woche, als der »Verbrecher« Honecker von der 'BZ‘ totgesagt und ausgezählt wurde, wurde auch Udos Ende prophezeit. Dem Rockerleben: Tourneestreß, Kettenrauchen, Alkohol, schien er seinen Tribut zahlen zu müssen. Die Tour mußte verschoben werden. Nun lebt er wieder und trinkt nur noch alkoholfreies Bier.

Am Samstag kam er »zum ersten Mal« — den Auftritt im Palast mag er nicht mitzählen — in die »Rockarena« von Ost-Berlin, in die renovierte Freilichtbühne Wuhlheide: »40 Jahre sind genug, 40 Jahre SED-Betrug«.

Während ein Zeppelin, Zeitebenen verschaltend, am Himmel vorbeigleitet, beginnt dort unten vor der Bühne, ein großartiges, freudiges Gespringe, Gehopse und Geklatsche. Im schönen Chor, d.h. eher leise, verhalten, wird fast jeder Song mitgesungen. Udo, ein Echter, der vor dem Konzert etwas abgespannt gewirkt hatte, nur die alten starren Keine-Panik-Posen für die Photographen wiederholen konnte, blüht auf. Nicht mehr die Stirn wackelt nervös mit seinen Hut, sondern die Beine tanzen. Manchmal bewegt er sich als deutscher Joe Cocker, manchmal stept er »du hast Glück bei den Frau'n, Bel Ami«, manchmal läßt er anderen den Vortritt: den »Paniksöhnen« Lucas und Howdin, die etwas blaß in ihrer wahrscheinlich zu früh unterbrochenen Pubertät, Heavy-Metal-Imitate präsentieren; Judy Tudor, dem »Mädchen aus Ost- Berlin« oder der anderen Chorsängerin Sara Bennet. Und plötzlich kommt »unser alter Freund« Otto Waalkes vorbei und legt als Stargast ein paar großartige Bluesnummern hin. Udo, der frühere Drummer, fragt schüchtern, neben dem Mikro: »Kann ich mal Schlagzeug spielen? Kann ich mal Schlagzeug spielen?« Und eine Zeitlang spielen sie Evergreens: »Johnny B. good« und solche, die aus Udos Feder stammen.

Wahrscheinlich ist Udo Lindenberg der einzige deutschsprachige Rocker, der in seinen Aussagen ernst zu nehmen ist. Er versteht es, sie musikalisch richtig umzusetzen, und seine Texte haben Sinn, weil sein Publikum eben nicht nur aus Oberschülern und frechen Lehrern besteht, sondern ziemlich unterschiedlich ist: Ein paar Matten stehen neben Antifas und Deutschlandfahnenträgern.

Udo würde nie in die Geschmacklosigkeit von Wolfgang Niedecken verfallen, der seine »Kristallnacht« als sentimentales Schmuserührstück präsentierte. »Sie brauchen keinen Führer/ sie können's auch alleine/ diese neuen Nazischweine« singt er fast als Punk. Und ruft zur Solidarität mit den Normannenstraßenbesetzern auf.

Seine »Bunte Republik« — egal ob du'n »Chinese oder'n Irokese« bist — präsentiert er mit Rap-Elementen; baut eine türkische »Folkloremannschaft« aus Kreuzberg ein. Dafür gibt's eine kleine Geige als Geschenk und den Beifall eines Publikums, das wahrscheinlich zum ersten Mal mit türkischer Musik in Berührung kam.

Doch nicht nur da geht es um Freundschaften. Liebe erscheint bei Lindenberg nie aufgemotzt als überwältigende Leidenschaftspose, sondern als große Freundschaft, im sympathisch bisexuellen Teenie- oder Lehrlingsland. Irgendwo in der Vorstadt: »Du und ich das war, einfach unschlagbar«, »jetzt steh'n wir hier/ schwer bemüht/ daß der and're/ keine Tränen sieht«, doch »hinter dem Horizont geht's weiter...« Bei solch traurigen Liedern, die immer die eigentliche Stärke von Lindenberg waren, gibt's Wunderkerzen von Herzen. Detlef Kuhlbrodt