ZWISCHEN DEN RILLEN

■ Dizzy, Max, Chet und Chatarina Valente

Seit Dizzy Gillespie vor über fünfzig Jahren seine Trompete aus dem Koffer genommen und an die Lippen gesetzt hat, gehören seine Sinnlichkeit und Wärme, sein Überschwang und sein Bluesfeeling, seine Eleganz und traumwandlerische Sicherheit zum Schönsten im Jazz. Im Lauf von einigen Monaten verwandelte er mit ein paar Kollegen, wenigstens im Bewußtsein des Publikums, den Jazz von Ballroom-Musik zum Bop. Er spielte in Charlie Parkers revolutionärem Quintett, gründete die erste „neue“ Bigband, verschmolz konsequent und dauerhaft Bop-Melodik mit afro-kubanischen Rhythmen. Diese im Zeitraffer konzentrierte Entwicklung bereichert er seither mit immer neuen Variationen.

Ein zweiter Gründervater des Bebop: Max Roach, der wie kein anderer sein Schlagzeug melodisch singen lassen kann. Ein Mann mit Freude am ständigen Experiment; er machte Aufnahmen mit Gospelchören, integrierte ein Streichquartett in seine Gruppe, und spielte im Duo mit Avantgardisten wie Anthony Braxton, Archie Shepp und Cecil Taylor. Schon damals kündigte er an: „Wir haben Pläne für ein Duo mit Dizzy Gillespie“.

Erst 1989 gaben die beiden in einem Vorort von Paris ihr Duo-Debüt. Sie hatten bisher auch in Gruppen erstaunlich selten zusammengespielt, sind jedoch durch die prägenden Jahre ihrer musikalischen Vergangenheit eng verbunden. Für Max Roach ist alles ganz einfach: „Dizzy is with me ervery day of my life“.

Und so gingen sie ohne Proben ins Konzert. Hundert Minuten später konnte Dizzy ohne falsche Bescheidenheit behaupten: „I believe that this monumental concert will go down in the annals of Jazz as one oft the most potent, and heartfelt, collaborations in the history of our music.“

Er hat recht. Von Anfang an. „In The Beginning“ zaubert Max Roach auf Besen hinter der gestopften Trompete Dizzys. Ein sanftes, intimes Beginnen, das weiterführt in einen Set, in dem die Spannung auf die nächste Sekunde nie nachläßt, bis zur Zugabe „Ooopapada“ mit Dizzys Bop-Vokalismen in einer faszinierenden Mischung aus Disziplin und überschäumendem Spaß.

Der 65jährige Max Roach spielt unglaublich dicht und zugleich durchsichtig, läßt Rhythmen scheinbar leicht nebeneinander-, auseinander- und wieder zusammenlaufen, sein Schlagzeug klingt beherrscht, aber nicht emotionslos, sondern zärtlich oder heiter, melancholisch oder zornig. „Percussion Bittersweet“ nannte er eine frühere Platte.

Dizzy Gillespie (71) steht zweifellos im Herbst seines Könnens. Aber dieser Herbst ist ein in allen Farben leuchtender, warmer „indian summer“, mit natürlich einfallsreich nuancierten Tönen und Tonfolgen. Dizzy verzichtet fast ganz auf die jubilierenden, rasenden, reißerischen Läufe. Er nimmt sich Zeit, Max Roach zuzuhören, nimmt seine Floskeln auf, dreht sie, wandelt sie ab, spielt sie zurück: ruhig, ausgeglichen, souverän das Richtige tuend, das selten das Erwartete ist.

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Eher eine Fußnote der Jazzgeschichte, wenn auch eine instruktive, sind die Aufnahmen, die von Chet Baker in der Reihe „compact jazz“ erschienen. „Compact jazz“ heißt: Jazz zum Nebenbeihören. Die Titel werden von einem eigens aufgeführten Bearbeiter ausgewählt und so ge„sequenced“, daß sie möglichst widerstandslos zum einen Ohr rein und zum andern rausflutschen. Das klappt erfreulicherweise nicht immer. So hat die Firma „EmArcy“ Zugriff auf derart wenige Chet Baker-Einspielungen, daß — Not wird zur Tugend — ein abwechslungsreicher Sampler voller 1955 bis 1965 entstandener Raritäten dabei herauskam. Das Image des traumverlorenen jugendlichen Lyrikers der Trompete und des Schmerzensmannes der späten Jahre wird aufs Unterhaltsamste relativiert. Baker zeigt härtere attaca, entschlosseneres Spiel und einen sichereren Ton als oft von ihm gehört. Selbstverständlich fehlen langsame und mittelschnelle Stücke, weich geblasene Soli nicht. Aber in dem 15minütigen „Halfbreed Apache“ von einer Session in Chicago 1958 beispielsweise zieht ein mitreißender Stan Getz Chet in den Strudel eines rasanten Solos, vier Stücke einer New Yorker Session 1965 zeigen ihn ungewohnt aggressiv. Im nur zweieinhalbminütigen, beiläufigen „Anticipated Blues“ mit französischen Musikern beeindruckt sein knappes Statement. Eine absolute Kuriosität schließlich geriet 1956 in Baden-Baden aufs Band: Chet Baker sucht sich zwischen den hektischen Gitarrenakorden und der blechernen Stimme von Catarina Valente (!) zurechtzufinden. Ein hübsches Kuddelmuddel.

Max Roach & Dizzy Gillespie: Paris 1989. A&M 396 404-2. Chet Baker. compact jazz. EmArcy 840 632-2.

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