Wenn Satan gegen Satan kämpft

Die Optionen Teherans in der Golfkrise/ Gegen eine Unterstützung des Irak spricht vieles/ Das Waffengeklirr zwischen dem „Satan“ in Bagdad und dem „Großen Satan“ in Washington könnte Iran nutzen/ Fortführung der Politik Chomeinis  ■ Von Robert Sylvester

Berlin (taz) — Als Iraks Außenminister Tarik Aziz vergangene Woche seine Geschenke in Teheran auspackte, erblickten die Iraner mehr, als sie je geträumt hatten: freigelassene Kriegsgefangene, Land, den iranisch-irakischen Vertrag von 1975, einen gedemütigten Irak, und vor allem eine Menge unverhoffter finanzieller Vorteile.

In der komplizierten Schachpolitik des Nahen Ostens reichte ein einziger Zug aus, damit den Ajatollahs in Teheran die Gaben Gottes in die Hände fallen konnten: Saddam Husseins Besetzung von Kuwait. „Gott hat uns für unsere Bemühungen in den vergangenen acht Jahren Krieg belohnt“, sagte Irans islamischer Staatspräsident Ali Khamenei. Aber um die göttliche Gabe nutzen zu können, muß Iran eine sensible Politik gegenüber der Welt und der Region fahren.

Kurz vor dem Besuch von Tarik Aziz schrieb die englischsprachige 'Teheran Times‘, die die Meinungen von Premierminister Rafsandjani wiedergibt: das islamische Regime sei bereit, Lebensmittel und Medikamente an den Irak zu liefern. Auch der Transit von für den Irak bestimmten Gütern solle ermöglicht werden. „Das Verhalten des Westens während des Krieges gegen uns erlaubt uns, die gegenwärtige Krise vom Standpunkt unserer nationalen Interessen zu betrachten — natürlich im Rahmen der UNO-Resolutionen“, schrieb die Zeitung. Irans kaputte Nachkriegswirtschaft würde den direkten Fluß iranischer Güter in den Irak nicht zulassen. Als Transitland aber könnte der Iran durchaus dienen.

Vergangene Woche wurde die lange geschlossene Teheran-Istanbul-Eisenbahnlinie wieder geöffnet, um der Türkei die Weiterführung des verlorengegangenen Irak-Geschäftes zu ermöglichen. Ankara hat Iran gebeten, 7.000 wegen der Krise arbeitslos gewordenen türkischen Lastwagenfahrern Arbeit zu geben. Iranische Kleinboote sollen mit nächtlichen Besuchen des irakischen Hafens Basra begonnen haben.

Solch eine offensichtliche Vernachlässigung der UNO-Resolutionen würde nach Expertenmeinung internationale Reaktionen gegen Iran hervorrufen. Kurzfristig würde es weitere Isolation und den Bruch der Beziehungen mit dem Westen bedeuten, die Iran lange aufzubauen versucht hat. Irans gesperrte Auslandsguthaben im Wert von etwa 12 Milliarden Dollar — von denen US-Präsident Bush vor kurzem einen kleinen Teil als Geste des guten Willens freigab — würden weiter eingefroren bleiben, zu einem Zeitpunkt wo Iran dringend Devisen für den Wiederaufbau benötigt.

Die arabische Welt, die einstimmig den Irak gegen Iran unterstützte, aber in der gegenwärtigen Krise gespalten ist, wird bei einer Annäherung an Irak dem Iran ebenfalls den Rücken zuwenden. Der Großteil der iranischen Einfuhren aus dem Westen läuft über die winzigen Scheichtümer am Persischen Golf, den am nächsten zu Iran gelegenen arabischen Staaten. Diese haben sich nun an die Seite des größten arabischen Rivalen Irans, Saudi-Arabien, gestellt. Oman, die Vereinigten Arabischen Emirate, Bahrain und Katar würden den Güterverkehr nach Iran einschränken.

Syrien, der einzige arabische Verbündete Irans, kann iranische Hilfe an Saddam Hussein, den Erzfeind des syrischen Präsidenten Hafis al- Assad, kaum tolerieren. Syriens Außenminster Abdul-Halim Khaddam begab sich auf einen Blitzbesuch nach Teheran um seinen Amtskolegen Ali-Akbar Velayati daran zu erinnern, daß Irans fortdauernde Kritik an der US-Präsenz in Persischen Golf eine faktische Verletzung der gegenseitigen freundschaftlichen Beziehungen mit seinem Land darstellen.

Syrischer Einfluß und Druck auf die pro-iranischen schiitischen Militanten in Libanon könnte die Freilassung von Geiseln verhindern, die Iran zur Verbesserung der Beziehungen zu den westlichen Ländern dringend braucht.

Ein krisenbedingter Ölpreisboom ist zwar ein weiteres unerwartetes Geschenk für Iran. Doch weitergehende Parteinahme für den Irak könnte OPEC-Mitglieder, besonders Saudi-Arabien, zu einer Ausweitung der Produktion provozieren. Auf diese Weise würde verhindert, daß Iran einen größeren Marktanteil im Ölgeschäft bekommt.

Von der Lage aufgeschreckt, versucht Teheran, mit einer Drei-Punkte-Politik aus der wackeligen Situation herauszukommen: Verurteilung der irakischen Besetzung Kuwaits, Eindämmung der Krise auf eine regionale Angelegenheit und Kritik an der US-Militärpräsenz im Golf. Der erste Bestandteil dieser Politik soll Iran helfen, die Friedensprobleme mit dem Irak von einer Position der Stärke aus zu überwinden; der zweite zielt darauf ab, die arabische Welt zu beruhigen und den Ölmarkt zu sichern. Der dritte Punkt soll die permanente anti-amerikanische Propaganda der Ajatollahs für innere und äußere Propagandaziele sicherstellen.

„Was Iran jetzt sagt“, so ein Experte, „ist genau das, was Khomeini früher gesagt hat: die arabischen Scheichs sind korrupt, man greift die westlichen Mächte an und verlangt regionale Sicherheit“. Khameneis Erklärung, ein Heiliger Krieg sei möglich, ist ebenfalls eine Wiederholung der Parolen Chomeinis; er möchte einfach anti-amerikanischer sein als Saddam Hussein.

Nach iranischer Propaganda war Irak immer der „Satan“, dem der „Große Satan“ (die USA) gegen Iran half. Nun kämpfen die zwei Satans gegeneinander, und so wird jedes denkbare Ergebnis in erster Linie dem Iran zugute kommen, meint ein Experte. Sollten die USA das Baath- regime im Irak stürzen, wäre ein alter Feind Irans ausgelöscht. Sollte Saddam Hussein die USA demütigen, ist dies ein großer Sieg über den „Großen Satan“; sollte es eine politische Lösung geben, wäre der Irak gegenüber Iran geschwächt. Eine zu weitgehende Unterstützung des Irak aber würde den Iran in eine ähnlich prekäre Lage bringen wie den Irak selbst: Isolierung und Wirtschaftssanktionen wären die Folge.