Die Produkte von heute sind der Müll von morgen

Im Mittelpunkt des grünen Kongresses „Wege aus der Abfallgesellschaft“ standen die abfallpolitischen Folgen der hochgiftigen Wohlstandsproduktion und die Müllvermeidung/ Müllöfen sind das kleinste Übel  ■ Aus Aachen Bettina Markmeyer

Die Müllbewegung hat durch den Erfolg des bayerischen Müll-Volksbegehrens Auftrieb bekommen. Das war auch auf dem von den Grünen organisierten Müllkongreß unter dem Motto „Anders produzieren, anders konsumieren“ am vergangenen Wochenende in Aachen zu spüren. Uwe Lahl, grüner Umweltdezernent aus dem westfälischen Bielefeld, bekannte neidlos: „Die Bayern haben Großes geleistet.“ Doch Lahl, gleichzeitig Geschäftsführer der Bielefelder Müllverbrennungsanlage, markierte auch den Konflikt, der der Müllbewegung ins Haus steht: „Die Grünen haben sich mit der Ablehnung der Müllverbrennung vergaloppiert.“ Die vielgeschmähten Müllöfen seien derzeit von allen Übeln das kleinste, um die Müllberge der Abfallgesellschaft abzutragen. VertreterInnen von Bürgerinitiativen sahen das auf der Aachener Tagung differenzierter: Erst der Widerstand gegen immer neue Verbrennungsöfen habe die Müllbewegung in Bayern und anderswo stark gemacht. Gleichwohl hat auch Leo Fühschütz vom bayerischen Dachverband „Das bessere Müllkonzept“ beobachtet, daß MüllverbrennungsgegnerInnen auf dem Wege sind, sich zu „einer Bewegung gegen die Chlorchemie“ zu entwickeln. Der Blick wendet sich von der Abfallbeseitigung heute auf den Abfall von morgen: die Produkte.

So war denn auch das Forum, das sich mit den abfallpolitischen Folgen hochgiftiger Wohlstandsproduktion beschäftigte, in Aachen am besten besucht. In zwei weiteren Gruppen debattierte man über die Auseinandersetzungen zwischen engagierten MüllgegnerInnen und der öffentlichen Verwaltung sowie unter dem Stichwort „Lebenskultur“ über „Müll in unseren Köpfen“ und die unbezahlte Arbeit von Frauen bei Einkauf und Müllvermeidung im Haushalt, die auch in den Strategien der MüllgegnerInnen selbstverständlich einkalkuliert wird.

„Neunzig Prozent der Umweltkosten eines Produkts entstehen vor der Entsorgung“, konstatierte Michaela Moser vom Berliner Institut für ökologisches Recycling (IFÖR). Neue Produktlinienanalysen und Ökobilanzen, also Berechnungen über die ökologischen, gesellschaftlichen und ökonomischen Kosten einer Ware, beruhen auf der Erkenntnis, daß Produktion und Abfallwirtschaft nicht länger getrennt werden dürfen. Ökobilanzen zu handhaben, ist derzeit jedoch schwierig, vergleichbare Kriterien fehlen, Abfallproduzenten wie die Firma Tetra Pak werben frech damit, daß Einwegverpackungen gegenüber Mehrwegflaschen durch weniger Transport den Straßenverkehr entlasten. Vor jedem Versuch, Produktionsweisen zu bilanzieren, so Moser, müsse sich die Gesellschaft eigentlich die Frage stellen, ob ein Produkt wirklich gebraucht werde. Wie anarchisch demgegenüber Produktentscheidungen in der Vergangenheit gefallen sind, erläuterte Andreas Ahrens vom Institut für Ökologie und Politik (Ökopol) am Beispiel der problematischen Chlorchemie. Ursprünglich, um Chlor zu verwerten, das als Reststoff bei der Herstellung von Natronlauge anfällt, habe die chemische Industrie neue Märkte erschlossen. Ahrens warnte vor dem pauschalen Ruf nach mehr Wiederverwertung. Pestizide beispielsweise seien nichts anderes als die „Entsorgung von Chemieabfällen auf dem Acker“.

„Auch in der Kommune werden wir als Wiederverwerter zu Umweltverschmutzern“, warnte Uwe Lahl. Aus DDT-verseuchtem Bauholz aus den fünfziger Jahren könne man eben keine „sauberen“ Spanplatten machen. Nur durch „gläserne Betriebe“, so Dieter Gremler von der „Koordination gegen Bayer-Gefahren“, also Mitbestimmung der ArbeitnehmerInnen in der Forschung und bei der Entwicklung neuer Verfahren, öffentlich einsehbare Abfallwirtschaftskonzepte für Privatunternehmen und Produktionsverbote könne man den Giftküchen der Industrie einen Riegel vorschieben. Einig waren sich alle in ihrer Ablehnung der von Müllminister Töpfer eingefädelten „dualen Abfallwirtschaft“. Eines der größten Umweltprobleme werde der öffentlichen Kontrolle entzogen, die Industrie, so Harald Friedrich, Umweltdezernent in Hessen, freue sich über ihre neue Arbeitsteilung: „Die einen machen die Müllverbrennung, die anderen machen so weiter, und verdienen tun alle daran.“

Daß genügend Strategien zur Müllvermeidung vorliegen, sie lediglich politisch nicht durchsetzbar sind, wurde auf dem Aachener Kongreß erneut deutlich. Über das Ordnungsrecht, Ökosteuern, Rohstoffabgaben, Verbote oder Boykotte bis hin zu Steuersenkungen, um menschliche Arbeit wieder bezahlbar zu machen (Stichwort: Windelwaschdienste statt Pampers-Einkauf), reichten die Vorschläge. Stecken blieb allerdings die Diskussion darüber, ob Volksbegehren für bessere Müllkonzepte auch in anderen Bundesländern erfolgreich sein könnten. In den nordrhein-westfälischen Bürgerinitiativen sowie bei den dortigen Grünen hat eine solche Debatte inzwischen begonnen. Allerdings müßten in NRW laut Gesetz doppelt soviele WählerInnen ihre Stimme abgeben wie in Bayern.