Zwischen den Zeiten

■ Das Deutsche Theater beginnt die Saison mit Perspektivenpressekonferenz und der Uraufführung von »Die Kommunisten«

Vergangenen Freitag lud der Intendant des Deutschen Theaters in Ost-Berlin, Peter Mann, zur Pressekonferenz. In deren Mittelpunkt standen zwei Themen, die wahrscheinlich so einfach nicht voneinander zu trennen sind: der neue Spielplan für die Saison 90/91 und die Situation des Theaters in der Post-SED-Ära bzw. in der Phase des deutsch-deutschen Umbruchs. Unter einem Himmel, der abwechselnd voller Geigen oder Galgen hängt, und in einer Zeit, in der die alte Macht sich längst aufgelöst hat, nur noch in Restbeständen ein zähes, geisterhaftes Leben führt und wo die neue noch nicht vollständig etabliert ist, zu diesem Zeitpunkt also ist der Weg in die neue Theatersaison einer ins Ungewisse. Mehr als Orientierungspunkte lassen sich da mit dem Spielplan für die neue Theatersaison nicht geben. »Wir brauchen ein neues, sichtbares Profil«, sagt Peter Mann und will dies erreichen mit einem ausgewogenen Repertoire: Ibsen, Müller, Klassik bis Gegenwart und als einem über allem hängendem Leitmotiv mit der »Auseinandersetzung mit Faschismus und Stalinismus«.

Die Situation, in die hinein das Deutsche Theater seinen Spielplan setzt, ist durchaus prekär: Das Geld ist knapp. Mit einem Viertel des Etats, der vergleichbaren Theatern im Westen zur Verfügung steht, muß das Deutsche Theater in der nächsten Saison auskommen. Hinzu kommt, daß der Zuschauerbesuch im letzten Jahr um 30 Prozent zurückgegangen ist und damit die Auslastung des Theaters jetzt gerade noch bei 60 Prozent liegt: »Das Ostberliner Stammpublikum dreht die neue harte Münze heute dreimal um. Die paradiesischen Zustände, unter denen wir teilweise arbeiten konnten, sind künftig neu zu befragen«, weiß Peter Mann.

Es ist aber nicht nur die pekuniäre Seite, die mitten im Umbruch Probleme aufhäuft. Mit den Fragen nach staatlicher Subvention und Publikumsinteresse verbinden sich die nach den Möglichkeiten des DDR- Theaters, mit den eigenen Vorgaben und aus der eigenen Geschichte heraus weiterzuarbeiten. Es ist die Frage danach, ob das Theater, das in der DDR entstanden ist, in einer von Westen her kommenden Kultur wird überleben können bzw. ob es überhaupt die Möglichkeit dazu erhält. In einem Prozeß, in dem sich auf dem ehemaligen Staatsgebiet der DDR nicht nur das Wertgesetz mit aller Macht durchsetzt, sondern auch die damit verbundene Kultur Macht auf Köpfe und Sinne ausübt, jetzt, wo überall dort, wo DDR war, BRD werden soll — in einem solchen Prozeß ist das Überleben in einer eigenständigen Form zumindest fraglich. Um die Zukunft zu retten, rettet man beim Deutschen Theater, quasi als Entstigmatisierung vom Prädikat SED, die Vergangenheit: »Dieses Ensemble fühlte immer, daß seine besten Gedanken trotz aller Beteuerungen von Bonzen nur geduldet, von seinem Publikum verstanden und gebraucht wurden.«

Es ist wohl wahr, daß die Bühnen der DDR Orte waren, an denen Kritik möglich war. Diese spezielle Funktion allerdings haben sie verloren, und es wird schwierig sein, unter den neuen Bedingungen eine Position zu bestimmen — »mit Anstand gutes Theater machen«, wie Mann sagte, mag als moralische Richtschnur dabei helfen, zeugt aber auch von der Schwierigkeit, die man bei einer solchen Positionsbestimmung hat. »Wir müssen Chancengleichheit erhalten«, fährt Mann fort, bemüht, das zukünftige Verhältnis zum Westen zu umschreiben, »und können erwarten, daß wir mit Würde behandelt werden.« Er sagt dies zwar im Hinblick auf das Geld, doch dürfte er damit einer der wenigen sein, die sehen, daß in der Welt der freien Marktwirtschaft Geld jenes Medium ist, mit dem Würde ausgedrückt wird.

»Die Kommunisten«

Einige Stunden nach der Pressekonferenz, am Freitag abend, fand im Deutschen Theater die erste Premiere dieser Saison statt: Die Kommunisten von Jörg-Michael Koerbl wurde uraufgeführt. Autor Koerbl lebt in der DDR, ist Schauspieler und schrieb bis zur Wende Theaterstücke in die Schublade seines Schreibtisches hinein. Die Kommunisten ist sein zweites in der DDR aufgeführtes Theaterstück; letzten Herbst waren seine Gorbatschow-Fragmente zu sehen.

Obwohl schon 1985 entstanden und 1945 in Berlin spielend, spiegeln Die Kommunisten die heutigen Verhältnisse des Umbruchs wider. Ein Staat, der sich als Höhe- und Endpunkt abendländischer Geschichte begriff, befindet sich in der Auflösung, die alte Macht ist noch nicht ganz fort, die neue noch nicht ganz da. Eine Zeit zwischen stabil geordneten Gesellschaftssystemen, die wie ein Loch wirkt, in das die Menschen hineinfallen und in dem sie sich an fernen Zielen orientieren, Fluchtpunkte imaginieren, die ihnen Haltegriffe sind in der Bodenlosigkeit der Trümmer und Schrecken.

Eine kommunistische Widerstandsgruppe wartet in Berlin auf die Befreiung durch die Rote Armee. Diese Widerstandsgruppe besteht nicht aus sozialistischen Helden — es sind vielmehr seltsam schräge, vom Leben beschädigte Figuren, die sich von der Zukunft ein Paradies der Rache und der allgemeinen Glückseligkeit erhoffen. Ihnen entgegen kommt, mit der Roten Armee, das Personal der neuen Ordnung, Apparatschiks und Parteikader. Dazwischen, im Niemandsland, bewegen sich zwei befreite KZ-Häftlinge auf der Suche nach Berlin, nach dem vielleicht anbrechenden Sozialismus und nach etwas zu essen. Und obwohl die Widerstandsgruppe schon den Ausblick auf die deutsche Sowjetrepublik und deren ersten Fünfjahresplan hat, zählt ihr nur die Gegenwart. Die Widerständler haben überlebt — und machen, bitter geworden, Witze über sich und jeden, der ihnen begegnet, mit einem skeptischen, niemandem mehr trauenden Blick.

Alle auftretenden Personen aber sind konturlos, ähneln Figuren, die von einem Prozeß erfaßt werden, den sie nicht durchschauen, doch der sie gepackt hat und voranschiebt. Ein Geschichtsprozeß, der sie ins Unglück gestürzt hat und sie jetzt wieder an ihren Macken packt: wie die sichtbaren Enden einer Logik, die sie entweder halb resigniert, halb spöttisch akzeptieren, als deren Exekutoren sie sich aufschwingen und damit Witzfiguren werden oder deren Schmerz sie nicht ertragen, deren verlorenen Sinn sie nicht begreifen und gegen die sie, mit einem Überschuß an Gefühl, rebellieren — um von dieser Logik überrollt zu werden. Denn alle Träume und Hoffnungen, die am Anfang des Stückes standen, werden in dessen Verlauf umgewälzt von einer unerbittlichen und unsichtbaren Kraft, die den Prozeß zu der neuen Ordnung voranschiebt.

Dabei ist Die Kommunisten keine große Tragödie, in der die einzelnen in nicht begriffener Schuld schuldig werden und über sich hinaus deklamieren. Es ist vielmehr ein Angehen gegen eine Geschichte, die kein Glück mehr verspricht: lakonisch, witzig, bitter. Ohne große Gesten, fast unterkühlt gespielt vom Ensemble des Deutschen Theaters; die Schauspieler verharren in Distanz zu den Personen, die sie darstellen, und heben damit den Prozeßcharakter hervor, der den einzelnen nivelliert.

Wären Die Kommunisten noch zu Zeiten der SED gespielt worden, sie hätten ein Sprengsatz am Gründungsfundament der DDR sein können, der die verstellten Blicke auf die eigene Geschichte freilegte. Jetzt aber wirkt das Stück wie ein Nachgesang auf eine Gesellschaft, wo jede Erinnerung daran dem Vergessen überantwortet zu werden scheint. Und vielleicht hätte in der DDR der SED auch die Rockband »Earl of East« im Deutschen Theater, wie sie in dieser Inszenierung von Michael Jurgons eingesetzt wird und Lieder zwischen die Szenen werfen darf, eine formale Erschütterung in der Theaterlandschat der Republik hervorgerufen. Jetzt wirkt sie deplaziert, wie eine dumme Geste an den Geschmack, der mit der Zeit geht und Herbert Grönemeyer auf Amiga-Scheiben preßt. Volker Heise