Kurt Biedenkopf: „Ich bin jetzt ein Sachse!“

■ taz-Interview mit dem Ministerpräsidenten-Kandidaten der CDU in Sachsen/ „Der eigentliche Ost-West-Konflikt ist der zwischen armen und reichen Deutschen“

taz: In einer Biographie las ich, daß Sie als Kind einige Jahre in Schkopau gelebt haben. Gibt es noch andere Bezüge zu Sachsen, die Sie für das Ministerpräsidentenamt ausweisen könnten?

Kurt Biedenkopf: Mein Vater ist in Chemnitz geboren. Aber das ist natürlich alles kein Qualifikationsnachweis für einen Spitzenkandidaten. Und trotzdem, für mich sind die acht Jahre in Schkopau eine wichtige Verbindung, die Zeit dort in der Volksschule, später in Merseburg die Oberschule. Diese Jugenderinnerungen sind dann wiederbelebt worden durch die Gastprofessur in Leipzig.

Im Januar gab die Universität Leipzig Ihre Gastprofessur bekannt. Was haben Sie den Studenten beigebracht?

Im Sommer haben wir Grundlagen des Wettbewerbsrechts behandelt, dann gab es eine Einführung in die soziale Marktwirtschaft, vor allem die privatrechtlichen Dimensionen. Die letzte Veranstaltung war ein Blockseminar der „Sommeruniversität“. Das hatte die Leipziger Universität für höhere Semester der juristischen und wirtschaftswissenschaftlichen Fakultät eingerichtet, um den jungen Leuten Gelegenheit zu geben, wenigstens erste Ansätze der neuen Ordnung kennenzulernen.

Wenn Sie aus dieser Lehrtätigkeit ein kurzes Fazit ziehen: Was nehmen Sie aus Leipzig nach Dresden mit — angenommen, Sie werden gewählt?

Mich hat ganz besonders die Art und Weise ermutigt, mit der die jungen Menschen die Herausforderungen annehmen, die mit dem Umbruch in der DDR verbunden sind.

Sachsen war eines der industriellen Zentren der DDR, und für die Zukunft ist nur eines wirklich sicher: hier entsteht ein Strukturkrisengebiet. Sie haben ja, was das betrifft, in Nordrhein-Westfalen einige Erfahrungen sammeln können. Was versprechen Sie denn nun den Sachsen für die nächste Zeit — Blut, Schweiß und Tränen?

Na, das wäre ja kein Versprechen. Ich verspreche den Sachsen, daß ich meine ganze Kraft dafür einsetzen werde, mit ihnen gemeinsam diese Krise zu überwinden. Und als Ziel sollten wir uns gemeinsam vornehmen — das ist jedenfalls mein Wille — daß wir in fünf Jahren soweit sind, wie Rheinland-Pfalz heute ist.

Warum loben Sie gerade diese Konkurrenz aus?

Das Land ist ungefähr gleich groß, die Bevölkerung gleich stark. Wir haben auch in Rheinland-Pfalz Gemengelagen zwischen sehr leistungsfähigen Regionen wie etwa der Süd-Pfalz und weniger leistungsfähigen wie etwa dem Hunsrück — das ist in Sachsen auch so.

Zur staatlichen Flankierung von wirtschaftlichen Problemlagen kennen wir Ihre Position in der Vergangenheit: Lieber das Gesundschrumpfen fördern als den Erhalt subventionieren. Ist das die Marschrichtung für Sachsen?

Ja selbstverständlich müssen sich die Betriebe, die überbesetzt waren, gesundschrumpfen. Aber das ist doch nur ein kleiner Ausschnitt aus der gestellten Aufgabe. Der bedeutendere Teil ist die Revitalisierung oder sogar die Erneuerung der jahrhundertealten sächsischen Handwerks- und Industrietradition. Es gibt in Sachsen historisch eine besonders glückliche Mischung zwischen Handwerk, Industrie, Kunst und Kultur — das unterscheidet Sachsen positiv von anderen Bundesländern.

Ihre „glückliche Mischung“ gilt Regionalplanern international als post-industrieller Basis-Mix. Haben Sie eine post-industrielle Vision für Sachsen?

Oh Gott, so ein Begriff! Damit kann ich wenig anfangen, und ich glaube, die Sachsen auch. Es geht doch darum, daß man aus der ungeheuren Arbeit, die da geleistet wird, Arbeitsplätze macht, und das in Groß-, Mittel- und Kleinunternehmen. Daß man die Handwerkstradition wiederbelebt. Und daß man zu diesem Zweck auch viele Menschen von außerhalb der Landesgrenzen gewinnt, die sich an dieser Aufgabe beteiligen. Ich habe keine Probleme mit dem sogenannten „Import“...

...Sie sind ja auch selbst einer.

„Import“, das wäre ich mit amerikanischem oder englischem Paß. Ich glaube, daß wir eine riesige Chance verpassen, wenn wir diesen Begriff so platt verwenden, nämlich die Chance der gegenseitigen Befruchtung.

Ich habe im letzten Dezember schon bei einem Besuch in Leipzig gesagt, daß die Entwicklung der Bundesrepublik, die uns die Möglichkeit gegeben hat, vierzig Jahre lang eine der leistungsfähigsten Wirtschaften und Gesellschaften aufzubauen, daß diese Entwicklung auch ein Stück treuhänderisch für die Menschen im anderen Teil Deutschlands erfolgt ist. Und wir lösen jetzt ein Stück dieser Treuhänderpflicht auch dadurch ein, daß wir unser Wissen und Können den Menschen zur Verfügung stellen, bis sie das nachholen konnten, was nicht allein unser Verdienst ist, sondern eine Folge des Krieges.

Wir können uns aber doch kaum mit einer rein nachholenden Entwicklung in der dann ehemaligen DDR zufriedengeben. In Ihrem letzten Buch „Zeitsignale“ sprechen Sie mit der Forderung nach einer ökologisch-sozialen Marktwirtschaft Politikdimensionen an, die auch in der Bundesrepublik erst noch realisiert werden müssen. Sollen in dem von Ihnen in Aussicht gestellten Fünf-Jahres-Plan auch Initativen dorthin enthalten sein?

Zunächst mal machen wir keinen Fünf-Jahres-Plan. Davon haben wir in der Vergangenheit genug gehabt. Und in einer Umbruchsituation ist das auch gar nicht sinnvoll. Die ist vielmehr davon gekennzeichnet, daß man lernt, indem man voranschreitet. Aber man muß ein Ziel haben. Und mein Ziel ist, daß wir den wesentlichen Teil des Rückstands innerhalb von fünf Jahren aufholen.

Ihr „Wir“: Ist das jetzt schon ein sächsisches „Wir“?

Ja sicher, natürlich. Sie müssen schon verstehen: ich bin jetzt Sachse, und ich habe auch die Absicht, genau das zu leben. Sonst hat die Sache doch gar keinen Sinn.

Sind Sie schon umgezogen?

Das mache ich nicht vor der Wahl, die muß ich ja erstmal gewinnen, und da wird sich dann auch zeigen, ob die sächsische CDU die richtige Wahl getroffen hat. Aber ich hatte Ihre Frage noch nicht ganz beantwortet: Das Ziel aufzuholen, das soll uns alle motivieren.

Was die soziale und ökologische Marktwirtschaft betrifft, so bin ich in der Tat entschlossen, zu zeigen — oder doch zumindest, den Versuch dazu zu unternehmen —, daß eine Strukturkrise auch eine große Chance ist. Wenn Altes abgerissen werden muß, ist eben auch Raum für die Gestaltung des Neuen nach heutigen Erkenntnissen.

Die Orientierung auf ökologische Erfordernisse liegt quer zu anderen sozialen Interessen und hat als neues Thema auch bei uns immer Akteure, sogar Aktivisten erfordert. Wird es auch in Sachsen Bürgerbewegungen geben müssen, die der Parteipolitik auf die Sprünge helfen?

Die Möglichkeit, unzureichende Politik durch Bürgerinitiativen zu ergänzen, ist außerordentlich wichtig für die Entwicklung unserer Gesellschaft. Daß sie sich entwickeln können, ist ein wichtiges Korrektiv für die institutionalisierte Politik.

In Ihrem Wahlprogramm setzen Sie neben der Landesverfassung einen zweiten Schwerpunkt beim Aufbau einer leistungsfähigen Verwaltung. Ist das letztere ein Beschäftigungsprogramm?

Nein. Wir sind mit folgender Situation konfrontiert: Die Länder gab es in der Zeit seit 1952 überhaupt nicht. Man kann sogar sagen, es gibt Sachsen nicht, seitdem die Nazis das Land aufgelöst haben. Denn die kurze Zeit einer Länderstruktur nach 1945 hat nicht gereicht, einen Apparat aufzubauen. Das SED-Regime hat an die Stelle der Länder Bezirke gesetzt, reine Befehlsempfängerorganisationen. Dasselbe galt für die Kommunen. Wir stehen heute vor der Notwendigkeit, neue Strukturen zu entwickeln und vor allen Dingen die Städte und die Landkreise in die Lage zu versetzen, die Autonomie auch auszuüben, die ihnen durch die Verfassung geboten wird.

In den öffentlichen Verwaltungen der Noch-DDR geht derzeit nicht nur die Angst vor einer Entlassungswelle um, sondern auch der Begriff „Berufsverbot“. Haben Sie einen Vorschlag dafür, wie mit Funktionen, Positionen, konkretem Fehlverhalten im Dienst des alten Regimes umgegangen werden soll?

Ich werde mich entschieden dagegen stellen, den Prozeß der notwendigen Klärung und Aufarbeitung der Vergangenheit mit dem Wort „Berufsverbot“ zu belegen. Die Verwendung dieses Begriffes bedeutet eine Umkehr der Beweislast zu Lasten der Freiheit und zu Gunsten der SED. Wenn ich eine SED-Vergangenheit in Frage stelle, dann habe ich die Beweislast dafür, daß das nötig ist, statt daß die anderen die Beweislast dafür haben, daß sie begriffen haben, was sie angerichtet haben. Der Begriff „Berufsverbot“ ist eine höchst gefährliche, polemische Umkehr der Entwicklung seit der öffnung der Mauer und ein Affront gegenüber all denjenigen, die sich für die Befreiung der DDR eingesezt haben. Im Grunde eine Unverschämtheit.

Der Idee, das Berufsbeamtentum abzuschaffen, können Sie vor diesem Hintergrund nichts Positives abgewinnen?

Das Berufsbeamtentum ist als Prinzip in der Bundesverfassung garantiert, aber es ist weder garantiert, daß jeder Beamter werden kann, noch ist garantiert, daß jeder in den Beamtenstatus übernommen werden muß. Wer meine Partei und damit mich wählt, soll wissen, daß ich sehr sorgfältig prüfen werde, wann der geeignete Zeitpunkt für eine Übernahme in das Beamtenverhältnis gegeben ist und für wen.

Sie haben auf dem Kandidatur- Parteitag am 1.September angekündigt, daß Sie von Sachsen aus zur Stärkung des Föderalismus in Deutschland beitragen wollen. Wo würden Sie denn föderalistische Initiativen plazieren?

Zunächst einmal sehe ich eine relative Stärkung des Föderalismus darin, daß wir gleichzeitig mit der deutschen Einheit auch die politische Union Europas vorantreiben. Dieser Prozeß führt aber zu einer weiteren Abgabe von Souveränitätsrechten des Bundes an Europa, und das wird die Gewichtung zwischen Bund und Ländern zugunsten der Länder verändern. Damit wird allerdings auch eine größere Verantwortung auf die Länder zukommen. Die Länder haben sich im Zuge der deutschen Einheit ja nicht gerade als Vorreiter der Solidarität erwiesen, jedenfalls nicht in ihrer Gesamtheit. Ich könnte mir vorstellen, daß zu mittelfristigen Fragen des Finanzausgleichs auch bei den Ländern in der dann ehemaligen Bundesrepublik ein Umdenken einsetzt.

Sie haben gesagt, Sie möchten „Sachsen zu einem starken Stück Deutschland in Europa und zu einem starken Stück Europa in Deutschland“ machen. Ist das eine Absage an die nationalistischen Töne, die man seit der Wende gerade auch aus Sachsen hören konnte?

Solche nationalistischen Töne werden sich ganz schnell leerlaufen, weil sie gar keinen Ort mehr haben, wo sie sich festmachen können.

Ist die soziale Krise kein Ort?

Nein, nein. Alle meine Erfahrungen sprechen dagegen, zumal die jetzt enstandenen Krisen ja keine Dauerkrisen sind, sondern Krisen, die aus einer katastrophalen Fehlentwicklung der Wirtschaft unter sozialistischer Herrschaft, also dem SED- Regime, entstanden sind.

Wir befinden uns im Tunnel, aber wir sehen auch das Licht an seinem Ende und wissen, daß es nicht erst von der nächsten Generation, sondern schon von uns erreicht wird. Wo soll sich vor einem solchen Hintergrund Nationalistisches festmachen? Die Krise muß bewältigt werden — innerhalb Deutschlands. Das heißt, ich sehe, daß sich allenfalls ein Regionalismus in den Ländern oder zwischen Ostdeutschen und Westdeutschen entwickelt. Aber das ist ja kein Nationalismus im Sinne der rechten Gruppen wie etwa der „Republikaner“.

Und wie verhält sich dazu die zunehmende Fremdenfeindlichkeit gerade auch den östlichen Nachbarn gegenüber?

Die Fremdenfeindlichkeit werden Sie immer bekämpfen müssen, das ist ein Schicksal Europas.

Bei dieser Wahl sind Sie — wir alle — mit einer neuen Situation konfrontiert: Es gibt keine „Stammwähler“, die politischen Lager sind noch in Bewegung. Sozial gesehen zählte fast die gesamte DDR zur „werktätigen Bevölkerung“ — Sie versprechen aber keinen Arbeitsplatzerhalt. Wer ist die Klientel, auf die Sie abzielen?

Diese Menschen. Die sind nämlich viel klüger, als wir glauben! Ich bin ja nun, noch ehe ich nominiert wurde, also noch als Gastprofessor, von einer Reihe von Unternehmen in den Aufsichtsrat gewählt worden. Ich bin Aufsichtsratsvorsitzender bei der Firma Bauchema, einem mittleren Unternehmen in Leipzig mit 13.000 Beschäftigten, ebenso bei einem mittelständischen Betrieb in Heidenau bei Dresden, der Firma Heckmann, mit 700 Beschäftigten. Außerdem sitze ich noch im Aufsichtsrat der Buna-Werke, rund 18.000 Beschäftigte, deren technischer Direktor mein Vater bis 1945 war. In allen drei Unternehmen sind es zu einem großen Teil die Betriebsräte und die Arbeitnehmervertreter, die wissen, was Sache ist, die wissen, daß man die alten Strukturen verändern muß, daß man all das abstoßen muß, was unter sozialistisch-planwirtschaftlichen Überlegungen in diese Unternehmungen hineingepackt wurde, wenn man überhaupt eine Chance zur Erhaltung haben will.

Sie können sich nicht vorstellen, daß diese Situation eher Ihrer Gegenkandidatin von der SPD, Anke Fuchs, die aus dem Gewerkschaftslager kommt, Stimmen zuführt?

Ich kann mir das natürlich vorstellen, aber mein Eindruck ist, daß diese Menschen nicht nach dem Namen SPD oder CDU wählen, sondern nach den Kompetenzen des Kandidaten.

Wo sehen Sie bei Frau Fuchs den Mangel an Kompetenz?

Frau Fuchs weiß relativ wenig von der Wirtschaft, Frau Fuchs weiß relativ wenig von Sachsen. Ich will Ihnen ein praktisches Beispiel geben: In Sachsen gab es kürzlich einen Warnstreik der ÖTV, die Organisatoren waren zum Teil aus der Bundesrepublik.

Ich habe noch nichts zu sagen in Sachsen, aber hätte ich was zu sagen gehabt, hätte ich die führenden Leute der ÖTV aus der DDR und aus der Bundesrepublik an einen Tisch geholt und die Vertreter aus der Bundesrepublik gefragt: „Zu welchem Gehaltsverzicht sind die öffentlich Bediensteten in der Bundesrepublik bereit, damit ihre Kolleginnen und Kollegen in der DDR ein höheres Einkommen erhalten können?“ Wer diese Frage nicht beantwortet, der verspricht den Menschen nicht etwas, sondern der führt sie in die Irre.

Sie sind also für die Umverteilung innerhalb, aber nicht zwischen den sozialen Gruppen?

Aber selbstverständlich, das habe ich immer gesagt. Ich habe immer gesagt, der eigentliche Ost-West- Konflikt ist nicht ein Konflikt zwischen Kapital und Arbeit, sondern zwischen reichen Deutschen und armen Deutschen.

Das bedeutet dann aber auch, daß die reichen Deutschen reich und die armen Deutschen arm bleiben?

Wieso denn? Die reiche Gruppe muß abgeben, damit es den anderen besser geht.

Aber bei Ihnen gibt es keine Umverteilung von der Unternehmens- auf die Arbeitnehmerseite.

Was wollen Sie denn da umverteilen? Die Frage ist doch nicht die Umverteilung, sondern die wohlhabende Mehrheit der Deutschen muß ihre Wirtschaftskraft zur Verfügung stellen, damit die anderen, die in der ehemaligen DDR leben, diese Wirtschaftskraft verbinden können mit ihrer Bereitschaft, diesen Teil des Landes wieder aufzubauen. Die größte Leistung, die die Menschen in der DDR erbringen — vor allem, wenn sie etwas können — ist, daß sie in der DDR bleiben. Da müssen alle zusammenarbeiten, die Gewerkschaften, die Arbeitgeber, die Politik.

Sie sagten gerade, angesichts der Probleme müssen alle zusammenstehen. Am 1.September haben Sie aber auch gesagt: „Um Sachsen regieren zu können, brauchen wir keine Koalition...“

Den Satz habe ich nicht gesagt. Ich habe nur gesagt, daß wir die Kraft haben zu regieren. Aber ich habe mich nicht zu Koalitionen geäußert. Das macht man nach einer Wahl und nicht vorher. Ich halte es allerdings für äußerst wichtig, daß die Grundlagen für die deutsche Einheit, der Staatsvertrag und vor allem der Einigungsvertrag, von allen politischen Kräften in der bisherigen DDR und in der bisherigen Bundesrepublik mitgetragen werden.

Was wir zur Zeit in der DDR beobachten können, ist die Ausdifferenzierung von Interessen, die Formierung verschiedener Gruppen, Strukturen, die wir aus der bürgerlichen Gesellschaft kennen. Kann der Moment dieser notwendigen gesellschaftlichen Differenzierung überhaupt eine günstige Stunde für eine Volkspartei sein?

Das hängt davon ab, was man unter „Volkspartei“ versteht. Ich verstehe darunter die Bündelung von unterschiedlichen Interessen und Strukturen mit dem Ziel, Gemeinsamkeit und Mehrheit zu bilden. Ich glaube, daß die Volkspartei einer größeren Parteienvielfalt im Parlament überlegen ist, weil sie selber ein Forum der Integration verschiedener Interessen bietet, und zwar noch bevor diese Unterschiede im Parlament voll zum Tragen kommen.

Und wo werden die Konflikte ausgetragen?

In der Volkspartei natürlich. Und jetzt kommen wir wieder zurück zu Ihrer Frage nach Bürgerbewegungen: Wenn die Volksparteien diese Funktion nicht mehr erfüllen können, weil sie nicht die Kraft haben, Unterschiedliches zu ertragen und in sich selbst zur Geltung zu bringen, dann entstehen Bürgerbewegungen. Und das ist gut so, denn die Bürgerbewegung verdrängt dann entweder die steril gewordene Volkspartei aus der Mehrheitsfähigkeit oder belebt sie neu, weil sie durch den Wettbewerb gezwungen ist, sich zu öffnen. Bei der ökologischen Frage ist das ganz deutlich nachvollziehbar. Das Thema ist bei CDU und SPD angekommen.

Interview: Georgia Tornow