OP-Alternative zur Entfernung von Myomen

Auf dem Hamburger Gynäkologen-Kongreß wurde die Methode des Kieler Frauenarztes Kurt Semm heftig angefeindet  ■ Von Gabi Haas

Wegen einer harmlosen Zyste im linken Eierstock sollte die Hamburgerin Elke Jung [Name von der Redaktion geändert] unter's Messer. Doch ihr behandelnder Frauenarzt — ein prominenter Vertreter seiner Zunft, der öffentlich gern in die Rolle des Medizinkritikers schlüpft — wollte nicht nur den Eierstock, sondern auch gleich die Gebärmutter herausschneiden. „Was wollen Sie mit Ihren fünfzig Jahren denn noch damit?“ fragte er die 47jährige Frau. Elke Jung wollte ihre Gebärmutter behalten. Sie war fassungslos, als die Operateure ihr kurz vor dem Eingriff am Krankenbett erklärten, man werde nun ihren Uterus total entfernen. Halb betäubt, schon unter der Wirkung von Beruhigungsmitteln zur Vorbereitung der Narkose, stand sie auf und verließ auf der Stelle das Krankenhaus. Erst danach konnte sie den von ihr hartnäckig angeforderten und schließlich auch zugesandten Krankenakten entnehmen, daß die Ärzte die Zyste schon bei einer Voruntersuchung angepiekst hatten, worauf die darin angesammelte Flüssigkeit ausgelaufen war. Einen Grund für auch nur den kleinsten Schnitt hatte es überhaupt nicht mehr gegeben.

Fast jede sechste Frau über dreißig in der Bundesrepublik hat keine Gebärmutter mehr. „Ich kenne ganze Stadtviertel, ganze Schwarzwald-Täler, wo es kaum einen Uterus mehr gibt, weil dort Gynäkologen sitzen, die jede Gebärmutter herausziehen, die sie zu fassen kriegen“, bestätigte der Kieler Universitätsprofessor Kurt Semm diese Schätzung gegenüber der taz. Semm, Direktor der Kieler Universitätsfrauenklinik, sah sich wegen seiner Kollegenschelte auf dem 48. Gynäkologen-Kongreß in Hamburg in der letzten Woche regelrechten Anfeindungen ausgesetzt. „Wenn er solche Zahlen genannt hat, hat er Blödsinn erzählt“, giftete der Vorsitzende des Berufsverbandes der Frauenärzte, Eduard Koschade, zurück.

Dabei sieht es in anderen Ländern nicht besser aus. In der Schweiz lebt etwa jede vierte Frau über sechzig ohne Uterus, und in den USA wurden Zahlen bekannt, wonach sogar jeder zweiten Frau über vierzig die Gebärmutter radikal entfernt wurde. Bei 649.000 Totaloperationen im Jahre 1980 (das entsprach sechs Prozent aller Amerikanerinnen), so berichtete Semms Mitarbeiter Dieter Mayer- Eichberger auf dem Kongreß, starben 600 Frauen an den Folgen dieser schweren Operation.

Nach einer im letzten Jahr in der Schweiz veröffentlichten Studie aus dem Kanton Tessin werden dort nur ein Zehntel der Gebärmutterentfernungen — in der Fachsprache „Hysterektomien“ genannt — wegen der Diagnose Krebs durchgeführt. Das erschreckendste Ergebnis der Schweizer Untersuchung: Nach einer Informationskampagne im Tessin darüber, daß Gebärmutterentfernungen häufig unnötig vorgenommen werden, verringerten sich die Eingriffe in den örtlichen Spitälern um ein Viertel, bei Frauen zwischen 35 und 49 Jahren sogar um ein Drittel. Wo junge Ärzte ausgebildet wurden, gingen die Operationen weniger stark zurück. Gynäkologinnen führten die Hysterektomien nur halb so oft durch wie ihre männlichen Fachkollegen.

In etwa achtzig Prozent der Fälle sind auch in der Bundesrepublik das Vorhandensein gutartiger Geschwulste, sogenannter Myome, der Grund für das Herausoperieren der inneren Genitalien — eine, laut Mayer-Eichberger, „äußerst umstrittene therapeutische Maßnahme, was sich in der Sitzung über gynäkologische Operationen auf diesem Kongreß jedoch in keiner Weise niedergeschlagen hat“. Neben postoperativen Komplikationen, wie Verletzungen der Harnleiter oder Infektionen, wiegen vor allem die in der Öffentlichkeit wenig bekannten körperlichen und psychischen Langzeitfolgen der Hysterektomie schwer.

Betroffene klagen nach dem Eingriff oft über Kreuzschmerzen, Depressionen, Schlaflosigkeit und sexuelle Störungen: kein Wunder bei den mit der Hysterektomie unvermeidlichen inneren Verstümmelung. Durch das Abschneiden der Gebärmutter am oberen Ende der Scheide werden Nerven durchtrennt, der Scheidengang verkürzt und auch für die Durchblutung der Eierstöcke wichtige Gefäße gekappt. Die Mangelernährung der Eierstöcke führt zu Störungen im Hormonhaushalt und zum verfrühten Einsetzen des Klimakteriums. Häufig fühlen sich die Frauen auch in ihrem weiblichen Selbstwertgefühl beschnitten.

Auch bei der Sterilisation treten als Spätfolgen Komplikationen auf: Beim Verschmoren der Eileiter werden häufig auch die Haupternährungsgefäße der Eierstöcke beschädigt. In 12 Prozent der Fälle, so wurde auf dem Hamburger Kongreß bekannt, muß später die Gebärmutter entfernt werden.

Das wahre Ausmaß dieses seit vielen Jahren in der Öffentlichkeit nahezu unbeachteten Ärzteskandals wird erst deutlich angesichts der auf dem Gynäkologen-Kongreß alternativen Behandlungsmöglichkeiten von Myomen, unter denen rund dreißig Prozent aller Frauen über dreißig mehr oder weniger leiden. Schon vor zwei Jahrzehnten nämlich entwickelte der heute 63jährige, in der Bundesrepublik noch immer geschmähte Kurt Semm eine Methode, die Geschwulste im Frühstadium durch eine Mini-Operation zu entfernen — ohne großen Bauchschnitt, ohne Entfernung des Uterus, freilich auch ohne große Auslastung der Krankenhausbetten. Wie bei der hierzulande routinemäßig durchgeführten Bauchspiegelung wird bei der endoskopischen Geschwulstentfernung ein fünf bis zehn Millimeter dünnes Pelviskop, eine Art Fernrohr, durch die Bauchdecke geführt und gleichzeitig Luft in den Unterleib gepumpt, so daß die inneren Organe gut sichtbar werden. Die Operationsinstrumente werden an anderer Stelle durch eine winzige Bauchöffnung geschoben, die Myome mit einer Art Raspel zerkleinert und abgesogen. Statt zwei Wochen Krankenhausaufenthalt und sechs Wochen Erholungspause verlassen die Frauen nach wenigen Tagen die Klinik und sind wieder fit.

In Brasilien, wo sie Kurt Semm den „Jules Verne der Chirurgie“ nennen, oder in den USA, wo die Frauenbewegung gegen das sinnlose Herausreißen der Gebärmutter inzwischen Front machte, hat die vielseitig anwendbare, endoskopische Operationsmethode des Kieler Gynäkologen längst Schule gemacht. Doch in der Bundesrepublik wird sie — außer in Kiel — nur von wenigen Gynäkologen als Alternative zur Hysterektomie durchgeführt. In der Regel warten die hiesigen Frauenärzte noch immer, bis die langsam wachsenden Myome an oder in der Gebärmutter so groß sind und soviele Beschwerden verursachen, daß nur noch die Totaloperation hilft.

„Die sind gegen neue Methoden, weil das ihre Gipsköpfe durcheinanderrüttelt“, erklärte ein Kongreßteilnehmer die fehlende Lernfähigkeit seiner Kollegen, womit er allem Anschein nach ins Schwarze getroffen hat. „Ein klassischer Chirurg“, so erklärt Semm, „operiert im Schnitt zwanzig Prozent Leistenbrüche, dreißig Prozent Blinddarmentzündungen und vierzig Prozent Gallensteine. 95 Prozent davon kann er endoskopisch operieren. Die klassische Chirurgie wird dadurch zu Grabe getragen.“

Im Zeitalter der „großen Umkehr in der Chirurgie“ müßten sich die Kollegen alle umstellen, doch: „Wir stoßen auf einen ungeheuren Widerstand der Tradition.“