: Es gibt kein sozial verträgliches Einwanderungsgesetz
■ Plädoyer für eine Entstaatlichung der Flüchtlings- und Zuwanderungsfrage DEBATTE
Sämtliche mir bekannten Plädoyers für ein Einwanderungsgesetz gipfeln letztlich in der Behauptung, daß die vielschichtigen Probleme der internationalen Migration mittels legislativer Regelungen über die Parlamente zu bewältigen seien. Auch Karl A. Otto bewegt sich in seinem Beitrag in der taz vom letzten Samstag auf diesem argumentativen Grund. Er empfiehlt die Beschlußlage der Bielefelder SPD als Einstieg in die Debatte über ein Einwanderungsgesetz, „das die Möglichkeit bieten würde, die Zuwanderung sozial verträglich zu quotieren.“ Und um seiner Empfehlung die entsprechende Dringlichkeit mit auf den Weg zu geben, weist Karl A. Otto auf die mehr als eine Million Zuwanderer des Zeitraums März 1989/90 hin und legt en passent jeder/m in die Hirnschale, „daß diese Entwicklung früher oder später ein Ende haben muß.“
Gegen vorschnelle rechtstechnische Regelungen
Nun bin ich mit Karl A. Otto allein wegen des völkisch-nationalistischen Charakters der „Deutschtumsprüfung“, denen die AussiedlerInnen ausgesetzt sind, darin einig, daß das Bundesvertriebenengesetz bzw. das Aussiedleraufnahmegesetz und die damit verbundenen materiellen Sonderleistungen abgeschafft werden müssen. Auch die dem Bundesvertriebenengesetz implizierte Behauptung einer Verfolgung der deutschen Minderheit durch die polnische Bevölkerung ist mir Grund genug, dieses Relikt des Kalten Krieges der Vergangenheit zu überantworten. Und ich gehe mit Karl A. Otto auch darin konform, daß weder die Abschaffung noch die Quotierung des Grundrechts auf Asyl akzeptabel ist. Dies nicht nur aus historischen Beweggründen. Nein, zu sehr steht für mich die jahrelange Einladungspolitik aller Bundesregierungen an die AussiedlerInnen und deren gewollte und massenhafte Aufnahme in der Bundesrepublik im Widerspruch zur Einreise und offiziellen Ablehnung einer viel geringeren Zahl von Flüchtlingen.
Nichtsdestotrotz bleiben bei Karl A. Ottos Plädoyer wichtige Fragen offen.
So läßt er unbegründet, warum seiner Meinung nach die aktuelle Entwicklung der Zuwanderung „ein Ende haben muß“. Auf dem Hintergrund der sich global zuspitzenden sozialen Ungleichheit zwischen West/Ost und Nord/Süd müßte Karl A. Otto m. E. aber seine Forderung dringend auf ihre ethisch-menschenrechtliche Substanz sowie auf ihre politische Konsequenz überprüfen, bevor er den Vorschlag eines Einwanderungsgesetzes präsentiert, denn jedes Modell eines solchen Gesetzes muß konkrete rechtstechnisch handhabbare Kriterien für die Zuwanderung von Menschen festlegen und wirkt damit im nationalstaatlichen Sinne, vor allem aber unter den derzeit vorherrschenden politischen Kräfteverhältnissen mit Sicherheit mehr ausgrenzend als einladend.
Um die Vergangenheit zu bemühen: Wen hätte ein Einwanderungsgesetz à la Karl A. Otto zuwandern lassen, wen nicht? Die türkische Flüchtlingsfrau, die 1980 nach dem Militärputsch zu ihrem Glück Familienangehörige in der Bundesrepublik hatte und deshalb nicht zum Asyl-Sozialfall degradiert wurde, sondern im Rahmen von Familienzusammenführung zu uns kommen konnte? Oder der illegal eingereiste minderjährige Iraner, der während des Golfkrieges den Minenfeldern des Schatt-el-Arab entgehen konnte? Und anlehnend an die vietnamesische Boatpeople: Wie befände dieses Gesetz im Falle von tamilischen Boatpeople, gerettet von Cap Anamur II in der Palkstraße zwischen Sri Lanka und Indien?
Fragen über Fragen, denen spätestens dann nicht mehr ausgewichen werden kann, wenn es konket wird, wenn Mensch sich diesseits von abstrakten Zahlen und Paragraphen bewegt und beantworten muß, wer es wert ist unter uns zu weilen und wer nicht.
Ursachendiskussion statt Gesetze
Es sei an dieser Stelle noch einmal unterstrichen: Niemand kann ein Interesse daran haben, daß Menschen ihre Heimatländer verlassen müssen. Und es wäre nur die halbe Wahrheit, auf die Frage der sozialen Versorgung und der Unterbringung der Zuwanderer nicht einzugehen oder sie den Machttechnokraten in den Apparaten zu überlassen. Diese Probleme auf die leichte Schulter zu nehmen wäre unverantwortlich, denn das hieße, die Ängste der ansässigen Bevölkerung ignorieren.
Anstatt sich aber die Zähne an den Procedere eines Einwanderungsgesetzes auszubeißen und sich freiwillig in die Reihen der Ausgrenzungsmanager einzureihen, müssen von unserer Seite neue Wege der Aufnahme von Flüchtlingen gefordert werden. Ich denke da konkret an die Umwandlung von Kasernen in sozialen Wohnungsbau, an menschenwürdige Unterbringungsformen im gesamteuropäischen Rahmen und besonders dringlich: An zu entwickelnde Modelle der Entstaatlichung der Entscheidungsfindung und des sozialen Umgangs bezüglich der Zuwanderungs- und Flüchtlingsfrage.
Im übrigen ist die These Karl A. Ottos, ein Einwanderungsgesetz gestalte die Zuwanderung sozial verträglich, nicht dazu geeignet, die so bitter notwendige Diskussion über Ursachen und Folgen des sozialen West-Ost/Nord-Süd-Gefälles unddie politische Mitverantwortung der Bundesrepublik Deutschland für die damit einhergehenden weltweiten Wanderungsbewegungen in der Bevölkerung zu fördern. Im Gegenteil: Die Propagierung eines Einwanderungsgesetzes vermittelt den Eindruck von Beherrschbarkeit eines Problems, zu dem erst grundlegendere politische Entscheidungen wirkliche Lösungen hervorbringen können. Und: Die Bewertung eines solchen Gesetzes als sozial verträglich ist im doppelten Sinne eurozentristisch:
1. Sie interpretiert die Zuwanderung nach Westeuropa ausschließlich aus der Sicht der WesteuropäerInnen als sozial unverträglich und unterschlägt damit, daß Zuwanderer sehr wohl jede Menge Gründe anführen können, ihre (vorübergehende) Niederlassungsmöglichkeit in Westeuropa als für sich sozial verträglich zu empfinden.
2. Jede Form von gesetzlich reglementierter Quotierung an den Grenzen der EG grenzt Menschen sozial aus und kann somit nicht als sozial verträglich bezeichnet werden.
Im übrigen sei vor einer überzogenen Verrechtlichung der Diskussion um die Zuwanderung von Menschen nach Westeuropa und in die Bundesrepublik eindringlich gewarnt, denn die Situation um die Roma in Nordrhein-Westfalen zeigt, daß erst durch die Anwesenheit der Romafamilien in der Bundesrepublik Lösungen um ihre soziale Zukunft — ob hier oder in Jugoslawien sei erst einmal dahingestellt — von obersten Regierungsvertretern ernsthaft diskutiert werden. Mensch muß nicht Sozialpädagogik studiert haben, um zu wissen, daß für PolitikerInnen fast jeder Coleur soziale Probleme erst dann zu finanzierbaren Brennpunkten avancieren, wenn das Kind bereits in den Brunnen gefallen ist. Nicht anders im internationalen Rahmen. Die Propagierung eines Einwanderungsgesetzes jedenfalls, will in Kern Situationen wie jene in Nordrhein-Westfalen von vornherein verhindern und entpuppt sich — aus den Augen aus dem Sinn — als Konzept Marke Verdrängungsabteilung. Franz Scheuerer
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