Schuster von der anderen Leiste

■ Vortrag über die Umerziehung zur allseits sich befriedigenden MitbürgerIn

Der Ostberliner »Sonntags- Club e.V.«, »Vereinigung lesbischer, schwuler und bisexueller BürgerInnen«, veranstaltete am Dienstag einen Abend unter dem Motto Der schwul-lesbische Ellenbogentyp — ein brisanter Titel im Vergleich zu dem etwas laubenkolonistisch klingenden »Sonntags-Club e.V.« —, wobei es jedoch, wie sich herausstellte, weniger um schlechte Szenesitten gehen sollte als um »Erziehungskonzepte« für die (naturgemäß bisexuellen) Kinder der Postwende.

Peter Rausch, langjähriger Aktivist der Ostberliner Schwulenszene, eröffnete die Veranstaltung mit einem einleitenden Vortrag. Er erklärte, wie die allgemein menschliche Anlage zur Bisexualität beim Kind der »Erziehung zum Hetero« zum Opfer falle. Anhand eines Abrisses der drastischen Maßnahmen, die bei Mißlingen ergriffen werden, erklärt er den Sinn starr fixierter Geschlechterrollen mit dem gesellschaftlichen Profit, der auf Leistungsethos und Konkurrenz beruht. Dabei gebe es doch keinen Grund mehr, aggressiv miteinander zu konkurrieren, »wenn der Schuster den Schneider nebenan als potentiellen Lebensgefährten« ansähe, was aber ein wenig nach einer Variante des christlichen Heilsplanes klingt — »liebe deinen schwulen Nächsten«.

Natürlich hat Rausch recht, wenn er daraufhin fordert, daß man Kindern die Geschlechtsidentität offenhalte; aber die Idee, daß wir von vielen (allen?) Übeln befreit würden, wenn wir letzteres mit der Erziehung zur »Kooperation« verbänden, erweckt doch unangenehme Assoziationen. Man solle die Kinder in der Richtung beeinflussen, daß sie halt »nicht so gut alleine könnten«, sich lieber in ein Netzwerk von Beziehungen begäben. Daß Rausch hier die schwule Parkinfrastruktur als erstrebenswertes Gesellschaftsmodell im Vergleich zur Heteromonogamie anführt, muß doch als originärer Gedanke gewertet werden. Er scheint aber zu übersehen, daß weder die Monogamie nur Steckenpferd der Heteros ist, noch die Tiergarten- Szene unbedingt nach idealen Prinzipien funktioniert.

Doch bleibt Rausch nicht beim schwul-lesbischen »Emile« stehen, denn im folgenden geht es um Emanzipationsverständnis: Man könne sich nicht im Sinne einer Tolerierung als Minderheit emanzipieren, sondern es gelte, auf dem eigentlich Omnipräsenten und somit Selbstverständlichen der Homosexualität zu beharren und bei den individuell verinnerlichten Tabus der Heteros anzusetzen. Man solle sich nicht wie eine »exotische Tierart« dulden und begaffen lassen. An diesem Punkt geht der Vortrag in eine enthusiastische Diskussion über: Ein etwas älterer Teilnehmer informiert uns über die immer stark vertretene Homosexualität in der »Rattenpopulation«, bei Primaten, etc.; »das Argument brauchen wir nicht!« entgegnet ein anderer. Ein Jüngerer mit moderatem Irokesenschnitt erzählt, daß ein gut Teil, wenn nicht die meisten, Bankiers der obersten Etagen Frankfurts schwul seien, und wird durch die Beobachtung ergänzt, daß sich ja auch niemand aufrege, daß Martina Navratilova lesbisch ist oder daß Elton John Männer bumst. Es wird nun die Frage aufgeworfen, ob Homosexualität Garantie für irgendeine Gesinnung sein kann, und festgestellt, daß lesbisch-schwule Freiheiten zum Teil von der Stellung in der sozialen Hierarchie abhängen. Es sind der Themen viele, man kommt von »Sub« auf Vor- und Nachteile des »Inseldaseins«, von Repressalien und Aggressivität auf Anpassung und Widerstandsstrategien, durch die eine oder andere Plattitüde zwischendurch belebt: »Coming-out für alle, ob schwul, lesbisch oder Erdbeerkuchenfresser!«

Im Elan dieser Auseinandersetzung liegt das Gelungene des Abends. Denn wenn auch manches etwas »altbacken« in der Darstellung klingt (wie die Begleitschrift Was ist Homosexualität — eine Krankheit? etc.), ist die Gefahr auf der anderen Seite, blasiert zu meinen, solch »naive« Fragen hätte man schon vor Lichtjahren abgeklärt, oder zu wissen, daß man zumindest so tun sollte. Doris Bunch