Skandal um NS-Vergangenheitsbewältigung

Sinti und Roma kämpfen seit zehn Jahren um Aufklärung über verschwundene NS-Völkermordakten  ■ Von Luitgard Koch

München (taz) — Der Zentralrat Deutscher Sinti und Roma verlangt vom bayerischen Innenministerium Schadensersatzleistung wegen verschwundener NS-Völkermordakten. Seit zehn Jahren kämpft der Zentralrat darum, endlich zu erfahren, wo die NS-Völkermordakten der „Zigeunerleitstelle“ München sowie die 24.000 NS-Rassegutachten, die nach 1945 im Bayerischen Landeskriminalamt (LKA) lagerten, geblieben sind. „Es sind Akten, die noch Beweismaterial gegen NS-Täter liefern und Entschädigungsfragen offenlegen könnten“, erklärt Romani Rose die Brisanz der Unterlagen.

Aber erst das Oberlandesgericht in Saarbrücken hat in einem Urteil von Anfang August, das der Zentralrat jetzt bekommen hat, den Verdacht bestätigt, daß hier etwas vertuscht werden soll. „Die Sorge des Zentralrats ist begründet, daß mit den rassebiologischen Gutachten nach 1945 nicht in der gebotenen Weise verfahren und so den Interessen der Angehörigen der Sinti und Roma, die durch solche Gutachten Opfer der unmenschlichen nationalsozialistischen Rassenpolitik geworden waren, zuwidergehandelt wurde“. Das Gericht zweifelt auch an, daß mehrere tausend Urkunden aus einer „Aktensammelstelle“ einer „Landesbehörde“ einfach so verlorengehen. Noch bis Ende der 60er Jahre arbeiteten im bayerischen LKA in Sachen „Landfahrer“ etliche ehemalige NSler, so der Abteilungsleiter, der ehemalige SS-Hauptsturmführer aus dem Reichssicherheitshauptamt, Supp.

Begonnen hatte der Gerichtsstreit damit, daß der derzeitige bayerischen CSU-Finanzminister Tandler gegen Romani Rose vor dem Landgericht München klagte. Tandler wollte seine Weste weißwaschen. Denn Romani Rose hatte ihn beschuldigt, daß er ihn in seiner Zeit als Innenminister, über den Besitz des Münchner LKA von NS-Akten belogen hatte. Rose warf Tandler ebenfalls vor, „illegale Aktenschiebereien“ verschwiegen zu haben. Rose hegte nämlich den begründeten Verdacht, daß etliche NS-Unterlagen an den in Landau in der Pfalz lebenden ehemaligen Giftgasforscher und Symphatisanten der NS-Rassehygieniker, Hermann Arnold, geschickt wurden. In dem Verfahren gab Arnold eine eidestattliche Erklärung zugunsten Tandlers ab: er habe nie NS-Akten sondern lediglich einige „Genealogien“ und Karteiblätter erhalten. Diese Erklärung hatte ihm jedoch ein Mitarbeiter des bayerischen Innenministeriums vorformuliert. Aufgrund dessen klagte der Zentralrat vor dem Landauer Gericht gegen Arnold. Doch erst das OLG Saarbrücken bemühte sich um bestmöglichste Aufklärung der Hintergründe. Inzwischen ist allerding die Straftat Arnolds — falsche eidesstattliche Aussage — verjährt.