„Die Geschichte zählt uns als Verlierer“

■ Oberst Karl-Heinz Marschner ist Kommandeur der 9. Panzerdivision in Eggesin INTERVIEW MIT NVA-OBERST MARSCHNER

taz: Die 9. Panzerdivision hatte vor einem Jahr noch 10.000 Angehörige, momentan sind es 3.700. Wieviele werden aus Ihrer Division übernommen?

Oberst Marschner: Wir wissen das nicht. Uns ist allen klar, daß viele gehen müssen. Ich rechne damit, daß nur jeder 13. Offizier bleiben wird.

Welcher Art sind Ihre Kontakte zur Bundeswehr?

Bedingt durch unsere geographische Lage haben wir nicht vorrangig die Möglichkeit, nun schnell mal rüber zu fahren. Wir haben auch gewartet, bis sich ein entsprechender Partner gefunden hat. Wir wollen uns nicht anbiedern. Seit ein paar Wochen aber verstärken sich die Kontakte zur 3. Panzerdivision in Buxtehude. Zehn unserer Offiziere weilen dort im Stab, nicht um sich zu amüsieren, sondern um zu sehen, wie uns die Kameraden der Bundeswehr helfen können, die Ausbildung im Oktober nach ihren Prinzipien durchzuführen. Wir sprechen gerade den Einsatz von Ausbildern der Bundeswehr ab, die im Oktober zu uns kommen.

Hat das Verteidigungsministerium der DDR oder die Hardthöhe diese Kontakte beeinflußt?

Wir handeln nach prinzipiellen Weisungen des Ministeriums, aber ansonsten selbständig — sagen wir es so. Wir sind auf das 3. Panzerregiment in Buxtehude zugegangen, nachdem wir herausgefunden hatten, daß sie ähnliche Aufgaben wie wir haben.

Mit welchem Gefühl gehen Sie zu Ihrem Feind?

Historisch gesehen, zählen wir mit Sicherheit zu den Verlierern. Natürlich war ich davon überzeugt — ich bin es übrigens mit Abstrichen noch jetzt — daß die NVA den Frieden in Europa geschützt hat. Ich habe nie an aggressiven Handlungen teilgenommen. Allerdings hat sich im Rahmen der internationalen Umwälzungen in der letzten Zeit unsere Sicherheitsdoktrin als falsch herausgestellt. Insofern gab es Berührungsängste von beiden Seiten, die daraus resultieren, was man gelehrt bekommen hat.

Wie stehen Sie jetzt zur Auflösung der NVA?

Man kann für diesen Prozeß verschiedene Worte benutzen. Wenn ich sage, dies ist eine Frage von Auflösung, dann stimmt das nur zum Teil. Die Bundeswehr ist sehr daran interessiert, führbare und gut ausgebildete Einheiten zu übernehmen, auch die 9. Panzerdivision. Gewisse soldatische Eigenschaften wie Disziplin und Verantwortung werden auch von der Bundeswehr geschätzt. Auf der Ebene des Handwerks können wir ebenso miteinander umgehen. Sicher, die NVA als NVA wird aufgelöst, aber das ist etwas anderes als eine Auflösung von innen. So eine aufgelöste Truppe würde dem Einigungsprozeß eher schaden. Wir haben übergabebereite Einheiten mit in die deutsche Einheit zu bringen.

Aus den Reihen der NVA ist Kritik an Ihrem Verteidigungsminister laut geworden.

Was soll ich dazu sagen. Der Minister ist gewählt. Wir haben unsere Loyalität gegenüber der Regierung bekundet. Gestört hat mich die Hinhaltetaktik. Ich hätte klarere Worte von Eppelmann erwartet, bevor es in die Verhandlungen mit Bonn geht, daß er mit den führenden Offizieren sein Konzept dargelegt hätte. Und da dies nicht so war, steht die Frage im Raum: Haben wir überhaupt ein Konzept gehabt?

Wann ziehen Sie die neue Uniform an?

Am 3. Oktober um null Uhr. Fragen: Nana Brink