ZWISCHEN DEN RILLEN

■ In Ehren ergraut: Rock'n'Roll

Der Funke zündete in der Nachkriegszeit und löste eine der größten musikalischen Detonationen des 20.Jahrhunderts aus. Wie eine Bombe schlug der wilde Klang von Bill Haley, Fats Domino, Elvis Presley und Chuck Berry in die wohlgeordnete Gemütlichkeit der fünfziger Jahre. Die hochexplosive Mischung aus weißem Hillbilly und schwarzem Rhythm & Blues ließ eine ganze Generation Kopf stehen. Das Rock'n'Roll-Fieber ging um.

Mittlerweile ist die frühe Rockmusik in die Jahre gekommen. In Ehren ergraut kann der Rock'n'Roll heute klassische Zeitlosigkeit für sich beanspruchen. Es existiert ein historisch gewachsener, fest umrissener Stilkanon, der sagt, was Rock'n'Roll ist und was nicht. Einer, der hier bestens Bescheid weiß, ist der englische Gitarrist Dave Edmunds. Als „Chefredakteur des Rock“, wie ihn die 'Village Voice‘ einmal nannte, hat er den Rock'n'Roll von der Pieke auf gelernt und später mit akribischer Forscherwut bis in die feinsten Details hinein studiert, was ihm einen guten Ruf als Meistertüftler in Sachen Rekonstruktion authentischer Rocksounds eingebracht hat. Was Nikolaus Harnoncourt für die Barockmusik, ist Dave Edmunds für den klassischen Rock'n'Roll. Als Produzent der neusten Platte seines alten Weggefährten Nick Lowe — sie haben in den siebziger Jahren bei Brinsley Schwarz und Rockpile zusammengearbeitet — hat Edmunds ein wahres Rock'n'Roll-Meisterwerk abgeliefert, das sowohl authentisch als auch modern klingt. Obwohl es sich bei allen Stücken der Platte um neue Kompositionen handelt, schwingt in ihnen unbezweifelbar der Geist der späten fünfziger und frühen sechziger Jahre.

Daß die Musik trotzdem weder angestaubt noch tranig oder nostalgisch klingt — sondern im Gegenteil: munter —, liegt an der Vitalität und der musikalischen Leidenschaft, mit der hier zur Sache gegangen wird. Langeweile kommt gleich gar nicht auf, weil Nick Lowe eine kompetente Band im Rücken hat, die die ganze stilistische Palette bis aufs letzte I-Tüpfelchen beherrscht: von Nummern mit akustischer Gitarre, schepperndem Schlagzeug und brummelndem Baß (gespielt vom großen Stehbassisten des Jazz: Ray Brown), die Country-Einflüsse verraten, bis hin zum Rock'n'Roll der härteren Gangart, aus dem Rhythm & Blues kommend, mit Ry Cooder an der Elektro-Gitarre und einem hämmernden Klavier in Little-Richard-Manier.

Im Gegensatz dazu steht Dave Edmunds' eigenes Soloalbum nicht nur mit einem, sondern mit beiden Beinen in der musikalischen Jetzt- Zeit. Mit fetten Bläsereinsätzen und wuchtigem Beat ausgestattet, sieht sich hier der Rock'n'Roll für die neunziger Jahre flott gemacht. Edmunds' speckiger Gitarrenton und sein nöliger Gesang garantieren allerdings, daß die Musik nicht in der Profillosigkeit versinkt.

Nick Lowe: „Party of one“, Reprise Records7599

Dave Edmunds: „Closer to the flame“, Capitol Records 2113.

INEHRENERGRAUT:ROCK'N'ROLL