Visum-Mauer wird Thema bei KSZE

■ Polens Außenminister bringt deutsche Abschottung gegenüber den BürgerInnen seines Landes auf Tagesordnung/ Polen spricht von Diskriminierung/ Solidarność-Vertreter für Öffnung der Grenzen

Berlin (taz) — Verstimmung zwischen Warschau und dem neuen Deutschland: Weil polnische BürgerInnen seit Anfang September selbst für eine Reise nach Westberlin ein Visum benötigen, soll die Visumspflicht ab dem 3. Oktober auch für alle Deutschen gelten, die ins östliche Nachbarland reisen wollen. Das kündigte das polnische Außenministerium mit einem Bedauern über die deutsche Entscheidung am Wochenende an.

In einer Erklärung spricht die polnische Regierung allerdings die Hoffnung aus, daß der bundesdeutsche Beschluß nicht endgültig ist und die „Diskriminierung der polnischen Bürger im Vergleich zu den Bürgern anderer postkommunistischer Staaten“ bald beendet wird.

Polens Außenminister Krzystof Skubiszewski erklärte vor seinem Abflug zur UNO-Vollversammlung in New York auch, er wolle die Visumsfrage auch bei der kommenden KSZE-Konferenz zur Sprache bringen. Wie berichtet, dürfen polnische BürgerInnen mit Wirkung vom 1.September — dem 51. Jahrestag des deutschen Überfalls auf Polen — nur noch dann nach Westberlin reisen, wenn sie entweder eine Einladung, eine Hotelbuchung oder genügend Devisen vorweisen können. Bonn reagierte damit auf den Druck der Straße: In Teilen der Bevölkerung hatte sich Unmut über die große Zahl polnischer TouristInnen, KleinhändlerInnen und SchwarzarbeiterInnen geregt.

Nachdem dieser Schritt jenseits von Oder und Neiße für Verärgerung gesorgt hatte, dürften vor allem die BewohnerInnen der polnischen Grenzstädte jetzt auch über die Entscheidung der eigenen Regierung enttäuscht sein. Sie profitierten in den vergangenen Monaten von den DDR-BürgerInnen, die die niedrigen Preise für Lebensmittel, Benzin, Textilien und Unterhaltungselektronik nutzten und in Scharen — Schätzungen gehen von mehreren hunderttausend aus — wichtige Devisen ins Land brachten sowie das Tourismus-Geschäft belebten.

Auch Anzey Wirga, Vertreter der polnischen Gewerkschaft Solidarnosc in der Bundesrepublik, ist über die Visumspflicht auch für ehemalige DDR-BürgerInnen ebenso unglücklich wie über die Abschottung der Deutschen. Der jüngste Schritt Warschaus „sieht aus wie Rache“, sagte Wirga im Gespräch mit der taz und fordert: „Keine Mauer an der Oder-Neiße-Grenze!“ Die Regierung Mazowiecki sollte Wirgas Auffassung zufolge jetzt auf diplomatischem Wege versuchen, die Visumspflicht beiderseitig wieder abzuschaffen. Daß Außenminister Skubiszewski damit vor die KSZE geht, hält der Solidarnosc-Mann für den richtigen Weg. Wirga befürchtet, daß die deutsch-polnische Annäherung durch die Visumspflicht Schaden nehmen könnte. Axel Kintzinger