KOMMENTAR
: Sogenannte Kriminelle

■ Die Gefängnisrevolte in der DDR

Wenn ausgerechnet DDR-Justizminster Manfred Walther behauptet, in seinem kurz vor der Selbstauflösung stehenden Land gebe es keine politischen Gefangenen mehr, hängt das wohl eher mit dem Wunsch nach besenreiner Übergabe denn mit Mut zur Wahrhaftigkeit zusammen. Gerade auch sogenannte Kriminelle waren Opfer der Staatssicherheit, wurden zu Mitarbeit und Spitzeldiensten genötigt. Wer diese Art der „Resozialisierung“ ablehnte, saß oft nach fingiertem Prozeß wieder dort, wo er hergekommen war: Im Knast. Auch die Möglichkeit zur Verteidigung war für die Unpolitischen nicht besser als für Oppositionelle. Dazu kommt, daß das Strafmaß für Raub, Einbruch oder Körperverletzung im Osten um rund ein Drittel höher lag, als für vergleichbare Delikte im Westen. In welches DDR-Gefängnis man auch hineinschaut: Überall begegnen einem „Fälle“, die eine klare Trennung zwischen gewöhnlicher Kriminalität und politischer Verurteilung unmöglich machen. Um dieses Problem hat sich die DDR-Regierung bisher einen Dreck geschert. Nun wird so getan, als wenn es gar keins mehr gäbe. Schlimmer noch: Justizminister Walthers Äußerung bestätigt dem SED-Regime im nachhinein eine rechtstaatliche Ordnung.

Der Funken aus dem Brandenburger Knast hat inzwischen einen Flächenbrand verursacht. Auf Regierungsseite scheint kurz vor Schluß plötzlich möglich, was seit dem 18. März verdrängt, verpennt, verschoben wurde: Die Zusicherung von Einzelfallprüfungen, eine Diskussion über modifizierte Amnestie, die Ausübung des Gnadenrechts. An der Sitzung des Volkskammerpräsidiums darf sogar ein Gefängnispfarrer teilnehmen, um die Position der Gefangenen darzulegen. Um zu Kulanzregelungen zu kommen, bleiben jetzt genau noch zehn Tage. Dann gilt, Häftlingsrevolte und erkämpfte Haftverbesserungen hin oder her, die bundesdeutsche Strafrechtsordnung. Die Gefangenen aus Berlin-Rummelsburg hatten sich in den vergangenen Monaten eine bessere erstritten. Denn von der Genehmigung zum „Einzelfernsehen“ und einer Zelle, die 24 Stunden geöffnet ist, weil der Insasse den Schlüssel dazu hat, können die Knackis aus West-Berlin bisher nur träumen. Selbst ihre Zimmerpflanzen müssen die Ostler beim anstehenden Umzug in die West-Knäste abgeben — man könnte ja Rauschgift darin verstecken. Die DDR- Häftlinge haben deshalb den Finger nicht nur in die Wunde der DDR-Justiz gelegt. Claus Christian Malzahn