Ausschuß wird Urteile prüfen

■ DDR-Regierung bildet Ausschuß zur Urteilsüberprüfung

Berlin (taz) — Das Präsidium der Volkskammer hat sich gestern abend mit der Häftlingsrevolte in der DDR beschäftigt und über eine modifizierte Amnestie beraten. Ein Ausschuß zur Prüfung von Gerichtsurteilen soll eingesezt werden, dem unter Vorsitz des amtierenden DDR- Justizministers Walther (CDU) Richter aus beiden deutschen Staaten angehören sollen.

Die Proteste in zahlreichen Haftanstalten sollen „in enger Abstimmung“ mit den Bundesministerien des Innern und der Justiz friedlich beendet werden. An der Sitzung nahm stellvertretend für die Gefangenen auch der Brandenburger Gefängnispfarrer Johannes Drews teil. Drews erwarte sich von der Beratung ein Hoffnungszeichen, erklärte er vor der Sitzung. Auf die Meuterei in den Knästen haben gestern viele DDR- Politiker mit Erklärungen reagiert. So forderte der SPD-Spitzenkandidat in Brandenburg, Manfred Stolpe, einen „Abschlag“ beim jeweiligen Strafmaß als Beitrag zur Beendigung des Häftlingsstreiks. Die Akten der Betroffenen müßten umgehend geprüft werden, sagte er gestern in Bonn. Stolpe verwies darauf, daß viele Urteile in der DDR „politisch geprägt“ seien. Die Urteile im Bereich der allgemeinen Kriminalität fielen vom Strafmaß her um ein Drittel geringer aus.

Voraussichtlich noch in dieser Woche wird der Ostberliner Innenstadtrat Thomas Krüger (SPD) mit der Überprüfung der Urteile der in Ostberliner Gefängnissen einsitzenden Häftlingen beginnen. Damit bestehe die Möglichkeit, schon am 3. Oktober Gnadenentscheidungen in den Fällen zu treffen, in denen die Urteile rechtsstaatlichen Maßstäben nicht entsprechen, heißt es in einer Presseerklärung. Dieses schnelle Vorgehen werde jedoch nur dann möglich, wenn das Ostberliner Parlament in seiner Sitzung am Mittwoch dem Innenstadtrat die Ausübung des in Artikel 68 der Stadt- Verfassung verankerten Gnadenrechts überträgt. In dem sogenannten Gnadenverfahren müsse jeder Einzelfall genau überprüft werden. Wenn sich herausstelle, daß die Strafe zu Unrecht verbüßt werde oder überhöht sei, könne sie sofort ausgesetzt oder erlassen werden. Der SPD-Volkskammerabgeordnete Jens Möller setzte sich für eine Amnestie oder Strafmilderung ein, weil in den Haftanstalten der DDR viele Gefangene säßen, bei denen politische Gründe eine wesentliche Rolle bei der Verurteilung gespielt hätten. Die Urteile seien oft gegen rechtstaatliche Kriterien zustande gekommen. ccm