Anwohner der Mainzer Straße ließen Dampf ab

■ Auf einem Hearing zur aktuellen Situation der besetzten Häuser in der Mainzer Straße fehlten die massiv beschuldigten Besetzer/ Friedrichshainer Bürgermeister warb um Verständnis/ Der CDU-Vertreter ging auf Wählerstimmenfang

Friedrichshain/Mitte. Die Anwohner der Mainzer Straße waren stinksauer, die massiv beschuldigten Besetzer abwesend: Bei einem Hearing zwischen Anwohnern, Besetzern und Politikern zur aktuellen Situation ließ die Bürgerinitiative Mainzer Straße Dampf ab. Über die Anwohner der Mainzer Straße kam die Hausbesetzerwelle wie ein Blitz aus heiterem Himmel. Was sie bis dahin nur im Westfernsehen als furchterregende Szenen aus dem damals so weit entfernten Kreuzberg kannten, spielte sich nun vor der eigenen Haustür ab. Aus Zuschauern wurden Betroffene, die mitten in eine Szene gerieten, die für sie, je mehr sie sich ausbreitete, immer unverständlicher wurde. Um nicht hilflos diesem für sie als Bedrohung empfundenen Treiben zusehen zu müssen, schlossen sie sich zu einer Bürgerinitiative zusammen. Sie fühlten sich von allen Verantwortlichen im Stich gelassen, obwohl sie selbst am Anfang direkte Gespräch mit den ersten Besetzern gesucht haben. Sie hätten Verständnis für die wohnungssuchenden Jugendlichen gehabt und sogar Möbel und einen Kühlschrank vorbeigebracht. Aber das war früher: »Denen geht es, daß haben sie immer wieder betont, gar nicht mehr nur um Wohnungen, sondern um die Errichtung eines anarchistischen Zentrums in der Mainzer Straße«, berichtete eine Frau über ihre letzten Gespräche. Nicht nur die Lebensweise der Besetzer ist den Anwohnern fremd, sondern auch die Art und Weise, wie sie sich artikulieren: »Überall Plakate, Spruchbänder und Graffiti mit gewalttätigen Sprüchen und dem Ruf nach Anarchie«, wie ein Anwohner verständnislos aufzählte. Die Anwohner, die sich als »das Volk« gewaltfrei eine neue Gesellschaft erkämpft hatten, müßten sich nun von »angereisten West- Kids« sagen lassen, daß sie eine »faschistoide, imperialistische Männerherrschaft« übergestülpt bekommen. Sie hatten zum Hearing ihre lange Liste von Beschwerden mitgebracht, die von »permanenter Ruhestörung bis zur Gefahr für Leib und Leben durch die unsachgemäße Benutzung der labilen Strom- und Gasleitungen« reichen und mit der Forderung enden: »Räumung und anschließende Sanierung und Vergabe an Bürger des Kiezes, die zum Teil schon Jahre auf eine Wohnung warten«.

Der Bezirksbürgermeister von Friedrichshain, Mendiburu, hörte sich dies alles an, verwies auf die geltende Berliner Linie und forderte die Anwohner zur Differenzierung auf. Die meisten der Besetzer wollten verfallene Häuser instand setzen. Auf den Einwurf, daß Diebstahl Diebstahl bleibe, gibt er zu überlegen, daß die Taktik, ein Haus aus Spekulationsgründen leerstehen zu lassen und damit Wohnraum brachliegen zu lassen, auch nicht anders genannt werden kann.

Trotzdem drehte sich das Gespräch im Kreis, denn eigentlich wollen die Anwohner und die Politiker dasselbe, nämlich Ruhe und Ordnung. Nur der Weg dahin ist umstritten. Räumung gehe schon deswegen nicht, erklärte Innenstadtrat Krüger, weil erstens die Polizeihoheit nicht beim Magistrat, sondern beim Innenministerium liege und zweitens immer noch Verhandlungen zwischen den Wohnungsbaugesellschaften und den Besetzern laufen. Die BI hörte lieber dem CDU- Vertreter Henning zu, der Wahlkampf betrieb, ohne etwas vom Thema zu verstehen. »Die Hausbesetzerszene ist voller RAF-Sympathisanten, die revolutionäre Basen in der DDR errichten wollen. Wenn damit nicht gleich Schluß gemacht wird, geht's hier zu wie in Beirut.« Der Vertreter der zuständigen Polizeidirektion, Leskau, konnte das nicht bestätigen. Er stellte sogar eine Abnahme der Gewaltbereitschaft fest und sah als Möglichkeit nur das Mit- und nicht Gegeneinanderleben. Der BI-Sprecher wiederum warf der Polizei Linkslastigkeit und Untätigkeit bei gestellten Anzeigen vor: »Krach, Prügeleien, verpißte Hausflure, das ist die Realität.« Trotzdem warnten die Politiker, alle in einen Topf zu werfen, und Innenstadtrat Krüger mahnte Rechtsstaatlichkeit auch im Umgang mit den Besetzern an. Dann verabschiedete er sich. Torsten Preuß