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Das Gerücht

■ Zu den Hintergründen der Randale ZURSACHE

Ein Toter, eine Tote, drei Tote. Niemand weiß Genaues. Alle haben etwas gehört. Und sagen es weiter: auf der Straße, im Café, in der WG, am Arbeitsplatz. Es brodelt im Kiez und in den sogenannten Zusammenhängen. Bei der taz klingelten die Telefone. Doch die Anrufer hatten keine wirklichen Informationen zu bieten. Manchen hatte es gehört, andere wollten es bestätigt wissen. Wir wissen es nicht. Ein solches Eingeständnis fällt einer Redaktion äußerst schwer. Wir hoffen, daß es nicht wahr ist. Telefonate über Telefonate und Vor-Ort-Recherchen in beiden Stadthälften führten nicht zu einem wirklichen Beweis dafür, daß (oder daß nicht) nach Krawallen zwischen Neonazis und Polizei Menschen ums Leben gekommen sind.

So erging es nicht nur uns bei der Suche nach der Wahrheit. Und deshalb kocht die Gerüchteküche weiter: »Nachrichtensperre« wegen der bevorstehenden gigantischen Einheitsfeiern — diese Erklärung boten uns bis zum Abend mehrere nicht-amtliche Gesprächspartner. Eine eigentlich völlig absurde Annahme, die allenfalls dadurch plausibel wird, daß von den offiziellen Stellen nicht die Spur eines klärenden schriftlichen Dementis ausgegeben wurde, obwohl auch dort das Gerücht bekannt ist — und obwohl man ansonsten jeden Kleinkram dementiert. Dieser Tatbestand — gepaart mit den rechtsstaatlichen Erfahrungen aus den Jahren Kewenigscher Innenpolitik — ist Wasser auf die Mühlen bewußter Gerüchtekocher. Besonders in emotional so aufgeladenen Tagen.

AusländerInnen und auch viele andere Minderheiten und Gruppen in der Stadt haben allen Anlaß, dem patriotischen Superorgasmus mit Ängsten und Zweifeln entgegenzusehen. Es gibt auch nachvollziehbare Gründe für Frust und Aggressionen. Wenn CDU-Politikern in Wahlkampfstimmung jetzt dazu nichts anderes einfällt, als ganz in Manier der 80er Jahre Härte gegen den »Mob« (O-Ton) zu fordern, betätigen sie sich bewußt als Brunnenvergifter. Und wenn der Senat nun nicht ganz schnell, ehrlich und äußerst sensibel auf die Signale reagiert, versaut er sich nicht nur seine Jubelfeiern, sondern tritt auch in die Fußstapfen seiner Vorgänger — was für Berlin viel schlimmer wäre. Thomas Kuppinger

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