Motiv: Bescheidenheit

■ Über Aki Kaurismäkis „Mädchen aus der Streichholzfabrik“

Das Licht in der Diskothek ist gedämpft, aber nicht schummrig. Ein Funkstück wird getanzt. Sie, die kleine Arbeiterin, lehnt sich an einen Stehtisch. Er, der Erfolgstyp, steht ihr gegenüber. Er blickt sie an, sie schlägt die Augen auf. Er gibt sich einen kleinen Ruck und geht zu ihr an den Tisch. Die Musik hört auf, ein Moment der Stille. Er legt seine Hand auf ihre. Ein langsames Stück fängt an. Sie tanzen. Kein Wort ist gefallen. Alles ist klar. Sie hofft, einen Mann fürs Leben gefunden zu haben. Er weiß, daß er eine Frau für die Nacht gefunden hat. Er wird sich mit einem Scheck bedanken. Sie wird sich mit Rattengift revanchieren.

Der paradoxe Fall eines Melodrams, das sachlich bleibt. So klar ist alles, vorgezeichnet und unabwendbar, daß der Film nur 72 Minuten braucht und sich dabei Zeit lassen kann. Die Fabrik, die häusliche Situation, die Mutter und ihr Freund, die sich von dem Mädchen bekochen lassen, das Fleisch aus ihrer Suppe fischen und dafür Haushaltsgeld verlangen, die Weltgeschichte — China, Deutschland —, die durch den Fernseher unbeachtet in die Wohnstube dringt, der Tango-Abend, bei dem das Mädchen als einzige nicht aufgefordert wird, der Kauf und die Mischung des Gifts, die Verhaftung — der Film konstatiert das in aller Ruhe und Gelassenheit.

Ähnlich wie mit der kurzen Zeit, die der Film dauert, und der vielen Zeit, die er sich läßt, ist es mit den Bildern und den Verhältnissen, die sie zeigen. Die Verhältnisse sind eng und kärglich, die Bilder sind es nicht. Das Licht ist kühl, aber weich und differenziert. Die Dinge — die geblümte Wachstuch-Tischdecke, die Rattengiftflasche — haben darin innere Tiefe und Glanz. Sie sind bescheiden, wie das Mädchen, die — als sie einmal begriffen hat — gegen ihr Schicksal nicht aufbegehrt, aber nüchtern und bescheiden zur Tat schreitet, um es wenigstens selbst zu vollenden. Ebenso nüchtern und bescheiden verschwendet der Film seine Zärtlichkeit an dieses Mädchen und überhaupt ans einzeln und für sich Stehende, um es nur noch einmal zu zeigen, weiter nichts, kein Protest.

Vor der eigentlichen Geschichte wird die Geschichte des Streichholzes gezeigt. Ein maschineller Vorgang: Ein dicker, ein Meter langer Holzscheit wird gehäutet. Aus dem Furnier werden Holzstifte gestampft. Die Stifte werden imprägniert und in Schwefeltunke getaucht. Die Streichhölzer kommen in Schachteln. Die Schachteln werden mit Etiketten und Reibeflächen beklebt. Die Schachteln werden zu Zehnerpacks sortiert. Es gibt ein Gegenstück zum Mädchen aus der Streichholzfabrik, das in genau der entgegengesetzten Richtung radikal ist, Lynchs Wild at Heart. Das, wofür bei Lynch alle Mittel des Kinos mobilisiert werden, läßt Kaurismäki aus, weil es selbstverständlich ist: Streichhölzer werden abgebrannt. Tierry Chervel

Aki Kaurismäki: Das Mädchen aus der Streichholzfabrik, mit Kati Outinen, Finnland 1989, 72 Min.