Bonn, übernehmen Sie!

Die Gleichstellungsbeauftragte beim Ministerrat der DDR fürchtet um ihre Zukunft nach dem 3. Oktober/ Das Bundesfamilienministerium in Bonn hat inoffiziell bereits die Auflösung angedroht  ■ Von Ulrike Helwerth

Berlin (taz) — Das Herz rutschte Andrea Klein in die Hosentasche, als sie am Montag morgen auf dem Flur vor ihrem Büro auf einen Berg Akten stieß. „Jetzt ist es soweit“, dachte die Mitarbeiterin der Gleichstellungsbeauftragten beim DDR-Ministerrat, „die machen hier dicht“.

So schnell sch(l)ießen die Bonner Innen zwar nicht, doch die Tage der „Regierungsbeauftragten für die Gleichstellung von Frauen und Männern“ und die ihrer Mitarbeiterinnen in Ost-Berlin sind gezählt. Ab sofort nämlich geht das DDR-Familienministerium als Außenstelle Ost in die Regie des Bundesfamilienministeriums über; DDR-Familienministerin Christa Schmidt hat bereits ihren Dienst quittiert. Die Zukunft des Gleichstellungsbüros im Hause des Familienministeriums steht in den Sternen. „Bisher haben wir keine offizielle Mitteilung darüber erhalten, was mit uns passieren soll“, sagt die Gleichstellungsbeauftragte Marina Beyer. Inoffiziell sei aus Bonn aber bereits deutlich signalisiert worden, daß an der Weiterführung des Amtes kein Interesse bestünde.

Mit der obersten Gleichstellungsstelle im Land aber verlieren die Frauen in der DDR eine wirkliche „Errungenschaft“, die in der BRD bislang ihresgleichen sucht. Die Meriten gebühren vor allem dem Unabhängigen Frauenverband (UFV), der am Runden Tisch die Forderung nach einer Gleichstellungsbeauftragten im Range einer Ministerin durchboxte. Das aber ging der großen Regierungskoalition zu weit. Als Kompromiß wurde jene Regierungsbeauftragte berufen, direkt dem Ministerrat unterstellt und organisatorisch dem Familienministerium zugeordnet. Das neue Amt wurde mit fünf Stellen und einem Etat von 1,5 Millionen Mark ausgestattet. Die SPD, nicht etwa der UFV, durfte die Gleichstellungschefin aussuchen. Die Wahl fiel auf die 40jährige friedensbewegte und parteilose Verhaltensbiologin Marina Beyer, die Anfang Mai mit ihren Mitarbeiterinnen die Geschäfte aufnahm.

Es bedurfte erst öffentlicher Proteste, bis der Ministerrat dem neuen Amt formal grundlegende Befugnisse einräumte: Mitzeichnungsrecht bei Gesetzesvorlagen, Recht auf Anhörung vorm Ministerrat und Zugriffsrecht auf alle Vorlagen und Gutachten aus den Ministerien. Die wurden in den letzten Monaten so reichlich produziert, daß der kleine Stab mit der Prüfung gar nicht nachkam. Marina Beyer forderte daher zu ihrer Unterstützung Gleichstellungsbeauftragte in allen wichtigen Ministerien. Die angesprochenen MinisterInnen fanden die Idee zwar nicht schlecht, wollten aber keinen Pfennig dafür locker machen. Schließlich sollte der Staatsapparat abgespeckt und nicht aufgebläht werden, hieß es. In die Verhandlungen zum Einigungsvertrag wurde Marina Beyer erst gar nicht einbezogen. Die Frauen und ihre Forderungen vertrat der parlamentarische Staatssekretär aus dem Familienministerium.

Trotz aller Schwierigkeiten aber hat die Gleichstellungsstelle in nur fünf Monaten erstmals Grundlagen geschaffen für eine Bestandsaufnahme der realen Lebensverhältnisse von Frauen nach 40 Jahren Realsozialismus. Vor wenigen Tagen erschien der „Frauenreport '90“, datenreiches Material über die Situation der Frauen in Bildung und Beruf, Familie, Gesundheit, Alter, Politik und Gesellschaft. Maßgeblich und öffentlich gestritten hat die Gleichstellungsstelle für die Beibehaltung der DDR-Fristenregelung beim Schwangerschaftsabbruch. Ein weiterer Schwerpunkt war die Einrichtung von Gleichstellungsstellen auf kommunaler Ebene und ihre Vernetzung. In zahlreichen Gemeinden über 10.000 EinwohnerInnen gibt es heute eine Beauftragte. „Allerdings haben wird versäumt, diese Stellen in den Kommunen gesetzlich richtig abzusichern“, merkt Marina Beyer jetzt selbstkritisch. Gemeinsam mit der „Arbeitsgemeinschaft der kommunalen Gleichstellungsbeauftragten“ fordert sie heute von den verantwortlichen LandespolitikerInnen, dafür Sorge zu tragen, daß in den neuen Bundesländern entweder ein Frauenministerium oder eine Leitstelle für Gleichstellungsfragen bei den Ministerpräsidenten festgeschrieben wird.

Eine Konferenz „Internationale Aspekte der Gleichberechtigung“ war für November bereits geplant — als Erfahrungsaustausch unter Expertinnen aus Ost- und Westeuropa, um endlich aus dem „deutsch-deutschen Clinch“ herauszukommen. Die Gäste, darunter auch die grüne Frauenministerin aus Niedersachsen, Waltraud Schoppe, hatten schon ihre Einladungen. Da ließ die zukünftige Dienstherrin aus dem Bonner Familienministerium telefonisch mitteilen, daß sie nicht daran denke, eine Veranstaltung zu bezahlen, auf der eine grüne Ministerin auftrete. Die Konferenz solle „aus organisatorischen Gründen“ abgeblasen werden, so ihre Empfehlung. Marina Beyer weigerte sich, dieses Spiel mitzumachen: „Das erinnert mich zu sehr an Praktiken, von denen ich glaubte, daß wir sie hinter uns haben“.

Hinter sich hat sie vermutlich bald ihren Job. Die jüngsten Gerüchte lauten, daß das Büro noch bis Ende des Jahres erhalten werden soll. Marina Beyer hat keine Lust „auf irgendeinen Job“ in der Außenstelle Ost des Bundesfamilienministeriums. Sie ist wütend über die „entwürdigende Art“ der Vereinnahmung durch die BRD, auf die „Eroberungsmentalität“. Die fünf Frauen kämpfen nun gegen die Zeit an, arbeiten an einer Konzeption, wie es mit der Gleichstellungsstelle weitergehen könnte. Die wollen sie der Bundesregierung vorlegen und erklären, „daß sich an der spezifischen Lebenssituation von Frauen in der DDR nach dem 3. Oktober nichts schlagartig ändert“, eine solche Einrichtung also für die neuen fünf Bundesländer notwendig bleibt.

Eines hat Marina Beyer auf jeden Fall gelernt: „Institutionalisierte Gleichstellungspolitik macht nur Sinn, wenn dahinter eine starke Frauenlobby steht.“ Die hat sie bisher jedoch stark vermißt. Und wieder fällt der bekannte Satz: „Die Frauen in der DDR haben eben nicht gelernt, für irgendetwas zu kämpfen.

Der „Frauenreport '90“ kann bestellt werden bei: Regierungsbeauftragte für Gleichstellung, Johannes-Dieckmann-Str. 42/43, Berlin 1086.